05.11.2008
Garchinger Neutronenquelle könnte Versorgungslücke bei Radiopharmaka schließen
Die Nuklearmediziner in Deutschland schlagen Alarm: Die Versorgung mit radioaktiven Präparaten ist derzeit nicht mehr sichergestellt.
Die Nuklearmediziner in Deutschland schlagen Alarm: Die Versorgung mit radioaktiven Präparaten ist derzeit nicht mehr sichergestellt. Es ist zu einem Engpass gekommen, sodass Diagnose und Therapie von Patienten mit Schilddrüsen-, Krebs- und Herzerkrankungen warten müssen. Der Bundesverband der Deutschen Nuklearmediziner hat einen Notfallplan entwickelt.
Einen Ausweg aus dem Engpass erwartet man von der Forschungs-Neutronenquelle FRM II der Technischen Universität München (TUM). Hier könnten die benötigten Radioisotope produziert werden. Derzeit sind insbesondere das Molybdän-99 und sein Tochterisotop Technetium-99m knapp: Alle drei in Europa verfügbaren Forschungs-Neutronenquellen, die Molybdän-99 produzieren, stehen derzeit nicht mehr zur Verfügung. Zwei Anlagen in Belgien und Frankreich werden turnusgemäß gewartet, die dritte in den Niederlanden ist unvorhergesehen ausgefallen.
Zudem nähern sich die genannten Reaktoren ihrem Laufzeitende. Zwei neue Anlagen in Kanada (Maple I und Maple II), die eigens für die Radionuklid-Produktion errichtet wurden, haben keine Betriebsgenehmigung erhalten. Der bisher letzte deutsche Forschungsreaktor in Jülich, der Molybdän-99 produzierte, wurde im Jahr 2006 abgeschaltet. Wissenschaftler des FRM II in Garching sind zuversichtlich, dass eine Aufrüstung möglich ist, sodass ein ähnlicher Engpass in Zukunft vermieden werden kann und Deutschland wieder eine eigene Produktionsstätte hat.
Gemeinsam mit den Anlagen in Belgien, Frankreich und Holland könnte die Garchinger Neutronenquelle den europäischen Markt mit Molybdän-99 versorgen. Das Tochterisotop Technetium-99m hat eine Halbwertszeit von ca. sechs Stunden und wird bei 80 Prozent aller Untersuchungen mit Radionukliden verwendet. In den Anwendungsbereich fällt die Szintigraphie, die Tumormetastasen in Knochen sichtbar macht. Wegen seiner Kurzlebigkeit (Molybdän-99 hat eine Halbwertszeit von 66 Stunden) kann das Isotop nicht auf Vorrat produziert werden, sondern muss sofort nach der Herstellung an die Kliniken und Arztpraxen geliefert werden.
Am FRM II werden bereits andere radioaktive Isotope für die medizinische Diagnostik und Therapie hergestellt. Für die Firma ITG auf dem Gelände der Forschungs-Neutronenquelle produzieren die TUM-Wissenschaftler Holmium-166 und Lutetium-177. Letzteres wird in der Schmerztherapie bei Knochenkrebs, aber auch zur Therapie von Gewebetumoren eingesetzt; Holmium-166 wird in Nanopartikeln zur Therapie von Lebermetastasen verwendet. ITG veredelt die Radionuklide und vermarktet die Produkte.
Um zu prüfen, ob auch das marktbeherrschende Molybdän-99 am FRM II hergestellt werden kann, hat der Technische Direktor, Dr. Ingo Neuhaus, eine Machbarkeitsstudie gestartet, an der sechs Wissenschaftler des FRM II arbeiten. An der Studie beteiligt sich die belgische Firma IRE, die bereits Radiopharmaka aus Forschungs-Neutronenquellen verarbeitet und vermarktet. „Wir sind zuversichtlich“, sagt der an der Studie beteiligte Physiker Dr. Heiko Gerstenberg vom FRM II, „denn die Garchinger Neutronenquelle ist auch auf die Radionuklid-Herstellung ausgelegt. Allerdings liegt der apparative Anpassungsbedarf in zweistelliger Millionenhöhe.“
Das Ergebnis der Studie wird in der ersten Hälfte 2009 erwartet. Wenn es positiv ausfällt, wird die TUM die atomrechtliche Genehmigung für Einbau und Betrieb der Bestrahlungsanlagen beantragen.
TUM-Präsident Prof. Wolfgang A. Hermann unterstützt diese Strategie. „Wir sind als Betreiber der modernsten Neutronenquelle in einer moralischen Pflicht, den eingetretenen Engpass bei der Radionuklid-Versorgung in der Medizin zu schließen.“ Der weltweite Radiopharmaka-Markt umfasse bereits seit Jahren einige Milliarden US-Dollar. Der deutsche Anteil daran sei bisher nur marginal.
Quelle: TUM München
Weitere Infos:
- Süddeutsche Zeitung vom 16. September 2009: „Notstand in der Nuklearmedizin“
http://www.sueddeutsche.de/wissen/379/310309/text/