Geflügelter Schweifstern
Neue Aufnahmen des Kometen ISON deuten darauf hin, dass er einzelne Bruchstücke verloren hat.
Ein oder mehrere Brocken könnten sich in den vergangenen Tagen vom Kern des Kometen ISON abgespalten haben. Darauf deuten zwei flügelartige Strukturen in der Gasumgebung des Kometen hin, die ein Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung und des Wendelstein-Observatoriums der Ludwig-Maximilians-Universität München fotografiert hat; die Strukturen erscheinen auf Bildern, die Ende vergangener Woche gelangen. Ein solches Ablösen einzelner Trümmer könnte möglicherweise den jüngsten Helligkeitsausbruch des Kometen erklären.
Abb.: Die Gasumgebung des Kometen ISON mit zwei flügelartigen Strukturen, die aussehen wie ein lang gezogenes U (Pfeil). Der Kern ist zur Orientierung als heller Punkt in der Mitte dargestellt. (Bild: Observatorium Wendelstein der LMU / MPS)
Auf seinem Weg in Richtung Sonne hatte Komet ISON viele Hobbyastronomen enttäuscht: Die Helligkeit des Schweifsterns, der die Sonnenoberfläche am 28. November in einem Abstand von nur gut einer Million Kilometern passieren wird, hatte nicht so stark zugenommen, wie zunächst erhofft. Ende vergangener Woche nahm nun die Strahlkraft von ISON sprunghaft zu, gleich mehrere Beobachter vermeldeten einen starken Helligkeitsanstieg.
Einen möglichen Hinweis auf die Ursache des Ausbruchs liefern jetzt Bilder des Kometen, die Wissenschaftler des Wendelstein-Observatoriums sowie des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung aufgenommen und jetzt ausgewertet haben. Am 14. und am 16. November richteten sie ihr Teleskop auf den Schweifstern.
Die Auswertungen zeigen zwei auffällige Strukturen in der Atmosphäre des Kometen, die flügelartig vom Kern ausgehen. Waren diese „Flügel“ am 14. November noch recht schwach, dominieren sie die zwei Tage später aufgenommenen Bilder deutlich. „Solche Strukturen treten typischerweise auf, nachdem sich einzelne Bruchstücke vom Kern eines Kometen abgelöst haben“, sagt Hermann Böhnhardt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.
Ebenso wie der Kern des Kometen spucken auch seine Bruchstücke Gas und Staub ins All. Dort, wo sich die Emissionen des Schweifsterns und der kleineren Brocken treffen, entsteht eine Art Trennschicht, die oft eine flügelartige Gestalt annimmt. Ob das Abspalten der Bruchstücke auch für den Helligkeitsanstieg der vergangenen Tage ursächlich ist, lässt sich laut Böhnhardt „nicht mit Sicherheit sagen“. Bei anderen Kometen sei ein solcher Zusammenhang jedoch nachgewiesen worden.
Mit bloßem Auge sind die flügelartigen Strukturen in den Aufnahmen nicht erkennbar, erst numerische Verfahren fördern sie in bearbeiteten Bildern zu Tage. Dafür durchforsten die Forscher die Gasumgebung des Kometen am Computer nach Helligkeitsänderungen. Der gleichmäßig helle Hintergrund der Kometenatmosphäre wird herausgerechnet und kann so die schwachen Strukturen nicht mehr überstrahlen. „Unsere Rechnungen deuten darauf hin, dass sich entweder nur ein Brocken abgelöst hat oder höchstens sehr wenige Trümmer freigesetzt wurden“, sagt Böhnhardt.
Wie sich der Komet in den nächsten Wochen seiner Reise um die Sonne verhalten wird, ist noch unklar. „Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen jedoch, dass Kometen, die einmal Bruchstücke verloren haben, dazu tendieren, das wieder zu tun“, so der Kometenforscher.
MPG / PH