Geothermie wesentlich für Wärmewende
Geothermie soll die Fernwärme vor allem in Ballungsräumen voranbringen.
Eine Grundvoraussetzung der Energiewende ist die Wärmewende. Die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre weisen der Geothermie hierbei nun eine erweiterte Rolle zu: Um in der Wärmeversorgung fossile durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen, könnte sie zu einer Schlüsseltechnologie werden. Zu diesem Schluss kommt die Studie „Geothermische Technologien in Ballungsräumen: ein Beitrag zur Wärmewende und zum Klimaschutz“ von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.
Mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs in Deutschland fällt für die Wärmeversorgung an. Der Anteil an Erneuerbaren Energien deckt dabei aktuell nur rund ein Sechstel des Energiebedarfs ab. Das Potenzial für den Umstieg auf eine CO2-neutrale Wärmeversorgung auf preisstabiler Basis und ohne Importrisiken ist groß. Das gilt insbesondere für Ballungsräume. Denn von den jährlich im deutschen Fernwärmenetz transportierten 80.700 Gigawattstunden Wärme beanspruchen die 81 Großstädte und Metropolregionen mit ihren industriellen Kernen einen großen Anteil. Die acatech Studie setzt den Schwerpunkt daher auf urbane Räume: Sie vereinen große Bedarfe mit hoher Abnahmedichte. Zudem verfügen sie überwiegend über die benötigten Wärmeverteilnetze, die eine Einspeisung großer Energiemengen ermöglichen. Geothermische Anlagen benötigen wenig Platz und sind emissionsarm zu betreiben: Eigenschaften, die in dicht besiedelten Gebieten von Vorteil sind.
„Ballungsräume sind ein ideales Einsatzgebiet, insbesondere für mitteltiefe bis tiefe hydrothermale Geothermie. Damit kann auf kleiner Fläche ausreichend Wärme bereitgestellt werden“, erklärt Studienleiter und acatech Mitglied Rolf Emmermann. „Zudem eignet sich Geothermie dank ihrer Speicherkapazitäten zur klimaneutralen Kälteversorgung, was angesichts des voranschreitenden Klimawandels in urbanen Räumen von wachsender Bedeutung sein wird. Geothermie verbindet CO2-neutrale Wärme- und Kälteversorgung effektiv miteinander und trägt damit zur Sektorkopplung bei.“ Die Sektorkopplung umfasst die Energiesektoren Strom, Wärme und Verkehr und ist ein entscheidender Erfolgsfaktor der Energiewende.
Von Deutschlands jährlichem Endenergieverbrauch für Wärme im Niedrigtemperaturbereich (rund 800 Terawattstunden) werden bisher nur etwa zehn Terawattstunden geothermisch bereitgestellt, größtenteils durch oberflächennahe Systeme. Dieser Wert lässt sich deutlich steigern: Werden nur zehn Prozent des natürlichen Potenzials wirtschaftlich nutzbar gemacht, dann kann die Geothermie einen Beitrag von zwanzig Prozent des gesamten deutschen Wärmemarkts leisten. „Damit könnten kleinere Kommunen und auch Großstädte zu einem signifikanten Anteil mit klimaneutraler Wärme versorgt werden, die unabhängig von Jahreszeiten oder Wetter zuverlässig zur Verfügung steht“, ergänzt Rolf Emmermann.
Eine Stadt, der das bald gelingen könnte, ist München. Die Metropole verfügt über geothermische Nutzungen in unterschiedlichen Stockwerken zur Wärme- und auch Kälteversorgung. Bis 2040 soll hier die Fernwärme durch hydrothermale tiefe Geothermie vollständig CO2-neutral geliefert werden. Als erste bayerische Kommune hat München gemäß dem Wärmeplanungsgesetz im Mai 2024 einen Wärmeplan veröffentlicht, in dem der Ausbau und die Optimierung von Wärmenetzen (Fernwärme, Nahwärme) eine wichtige Rolle spielt.
Bisher waren geothermische Maßnahmen aufgrund preisgünstiger fossiler Brennstoffe häufig nicht wirtschaftlich darstellbar. Dazu erschwerte ein mangelnder Informationsstand die öffentliche Akzeptanz von Eingriffen in den geologischen Untergrund. Die technologische Entwicklung der vergangenen zehn Jahre begünstigt die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Ausbau und Betrieb der Geothermie deutlich – angefangen beim kostenintensivsten Faktor, dem Bohrprozess.
Neue, wirtschaftliche Bohrverfahren machen den Einsatz effizienter und sicherer. Seismische Risiken sind bei sachgemäßer Durchführung zu vernachlässigen. Zudem sind die verwendeten Werkstoffe beständiger gegen Korrosion und lassen sich dadurch länger verwenden. Auch die Leistungsfähigkeit der Wärmepumpen ist gestiegen und erlaubt es, Wärmequellen verschiedener Temperaturniveaus effizient in Wärmenetze zu integrieren. Hochtemperatur-Wärmepumpen können bis zu 200 Grad Celsius erreichen. Damit kann Geothermie zukünftig auch für Industriezweige zu einer wirtschaftlichen Alternative werden – beispielsweise für die Niedertemperaturbedarfe der Lebensmittel- oder auch die Chemiebranche. Nicht zuletzt machen verfügbare Daten, deren gestiegene Qualität und erweiterte Kenntnisse über den jeweiligen Untergrund Projekte planbarer und wirtschaftlicher umsetzbar.
„Vom Ausbau der Geothermie kann der Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland mehrfach profitieren. Die Versorgungssicherheit mit klimaneutral gewonnener Wärme aus heimischen Ressourcen wächst und erhöht die Resilienz auf dem Wärmemarkt. Zusätzlich lassen die technologischen Entwicklungen perspektivisch erwarten, dass Geothermie vielseitiger und für weitere Anwendungen einsetzbar sein wird. Damit erschließt sie neue Wertschöpfungspotenziale und kann einen Beitrag für die Souveränität leisten. Jetzt gilt es, Bund, Länder und Kommunen, aber auch Wissenschaft, Energie- und Wohnungswirtschaft sowie Umweltschutzorganisationen zu einem engen Schulterschluss zu bewegen. Nur so gelingt es, den Ausbau aufzugleisen und die Wärmewende erfolgreich umzusetzen“, so acatech-Präsident Jan Wörner.
Ergänzend zu den Impulsen aus dem „Eckpunktepapier für eine Erdwärmekampagne“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) weist die acatech-Studie mit weiteren Handlungsempfehlungen den Weg zu einer nationalen Geothermiestrategie. Dazu zählen öffentliche Programme, die Untergründe erkunden und daraus erschließbare lokale Potenziale ableiten. Anreize für private und kommunale Investoren können dazu beitragen, das Wärmenetz auszubauen und zu transformieren. Eine staatliche Risikoabsicherung kann dabei maßgeblich unterstützen. Auch eine strategische Planung der Wärmeversorgung, wie sie das Wärmeplanungsgesetz verpflichtend vorsieht, kann den Geothermie-Ausbau nachhaltig fördern. Weitere Maßnahmen wie die CO2-Bepreisung tragen zum Interesse an klimaneutraler Wärmeversorgung bei.
Nicht zuletzt gilt es, alle Geothermie-Akteure eng miteinander zu vernetzen und auch die Öffentlichkeit bereits in die Planungsphasen einzubeziehen, um Vorbehalten abzubauen, die Akzeptanz zu erhöhen und Projekte zu beschleunigen.
acatech / DE