31.05.2017

Geschüttelt, nicht gesaugt

Granulate können bei passenden Vibrationen ähnlich wie Flüssigkeiten in schmalen Röhren aufsteigen.

Wenn man eine Röhre in ein Gefäß mit Flüssigkeit steckt, steigt das Wasser in der Röhre aufgrund des Kapillar­effekts empor. Er ist für viele natürliche und technische Vorgänge verantwortlich: Bäume werden durch ihn mit Wasser versorgt, Füllfeder­halter mit Tinte und Schwämme mit Spülmittel. Was passiert aber, wenn man die Röhre nicht in ein Gefäß mit einer Flüssigkeit, sondern mit einem Granulat, wie zum Beispiel Sand steckt? Nichts – es sei denn, man rüttelt das Gefäß oder das Rohr auf und ab, dann steigt das Granulat plötzlich auch an. Bisher war unbekannt, warum das so ist. Eric J. R. Parteli vom Department Geo­wissenschaften der Uni Köln, Fengxian Fan von der University of Shanghai for Science and Technology und Thorsten Pöschel von der Universität Erlangen-Nürnberg liefern hierfür nun eine Erklärung.

Abb.: Granularer Kapillareffekt (Bild: F. Fan et al.)

Die Kapillarität bei Flüssigkeiten entsteht aus einem Zusammenspiel verschiedener molekularer Kräfte: Die Anziehungs­kräfte zwischen den Molekülen in der Flüssigkeit halten diese zusammen, während die Anziehungs­kräfte zwischen diesen Molekülen und der Röhre die Flüssigkeits­säule nach oben treibt. Bei Granulaten wie Sand kann man eigentlich keinen Kapillar­effekt erwarten, denn die Sandkörner sind so viel größer als die Moleküle, aus denen sie bestehen, dass zwischen­molekulare Kräfte im Vergleich zur Schwerkraft und Trägheit der Sandkörner vernachlässigbar sind.

Erstaunlicherweise kann man dieses nicht erwartete Phänomen der Kapillarität bei einem Granulat aber trotzdem beobachten, wenn man im Labor das Gefäß mit dem Sand einer kleinen vertikalen Vibration aussetzt, wobei die Vibration eine Amplitude von wenigen Korndurchmessern hat und die Frequenz wenige Hertz beträgt. Der Ursprung dieses Kapillar­effekts war lange Zeit unbekannt. Die Forscher untersuchten die Frage des Verhaltens der einzelnen Körner mit Hilfe einer teilchen­basierten Diskrete-Elemente-Methode.

Dabei werden die Newtonschen Gleichungen für die Rotations- und Translations­bewegungen jedes einzelnen Korns im System unter Berücksichtigung aller auf die Partikel einwirkenden Kräfte, wie zum Beispiel Kollisions­kräfte durch andere Körner oder die Röhrenwände, numerisch gelöst. Mit Hilfe eines solchen numerischen Experiments können die Wissenschaftler sämtliche Bewegungs­bahnen und Geschwindigkeiten aller Körner bestimmen, auch jener Körner, die tief im Granulat stecken.

Die Wissenschaftler beobachteten in den Simulationen, dass eine Strömungs­bewegung im Granulat innerhalb des Gefäßes, die granularen Materialien unter vertikaler Vibration zu eigen ist, den für den Aufstieg des Sandes in der Röhre verantwortlichen Mechanismus darstellt. Die Strömung verursacht einen Massen­transport in horizontaler Richtung im vibrierenden Granulat, der einen Aufwärts­druck auf die Basis der Sandsäule in der Röhre führt, weshalb sie ansteigt. Wie die Wissenschaftler feststellten, hängt die Geschwindigkeit und Höhe des Anstiegs von der Größe der Röhre ab. Die Simulationen zeigten, dass der Höchst­punkt des Anstiegs sich umgekehrt proportional zum Rohr­durchmesser verhält. Das gilt genauso bei Kapillarität von Flüssigkeiten, obwohl die Natur­kräfte, die sie bewirken, unterschiedlich sind.

Die Physiker konnten in ihrem numerischen Experiment auch zeigen, dass sich derselbe Kapillar­effekt erzeugen lässt, wenn man die Röhre anstatt des Gefäßes schüttelt, was vielversprechende Anwendungen im Transport­bereich verheißt. So könnte man Granulate aus sehr großen Behältern durch Rohre pumpen, nur indem man die Rohre in Vibration versetzt. Die Forscher wollen nun den Vorgang noch genauer untersuchen, um den Effekt der System- und Partikel­geometrie zu verstehen.

U. Köln / DE

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