23.01.2012

Heißes Molekül erklärt Chemie im All

In interstellaren Gaswolken gibt es Blausäure ähnlich häufig wie die energiereichere Isoblausäure. Experimente im Ionenspeicherring zeigen: aus einer heißen Mischform gehen beide gleich oft hervor.

Wenn sich aus kalten Gaswolken Sterne bilden, finden sich in den Wolken bereits viele Moleküle, die aus den wichtigen Grundelementen (Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff bis hin zu Schwefel) aufgebaut sind. Mit empfindlichen neuen Observatorien lassen sich die spektroskopischen „Fingerabdrücke“ vieler dieser Moleküle im Licht und in der Radiostrahlung der Gaswolken identifizieren. Rätselhafterweise zeigt sich dabei, dass die Atome in den interstellaren Molekülen nicht immer in der energetisch günstigsten Anordnung vorliegen. Manche der beobachteten Verbindungen werden in verwandten Formen (Isomeren) gefunden, die durch Platzwechsel einzelner Atome innerhalb des Moleküls entstehen können. Für solche Platzwechsel muss jedoch eine erhebliche Energie aufgewendet werden, die Temperaturen von vielen tausend Grad erfordert.

Abb.: Der neu entwickelte Detektor kurz vor seinem Einbau in das Vakuumsystem des Heidelberger Ionenspeicherrings. Die Pfeile zeigen schematisch die Flugbahnen der auftreffenden Fragmente. Das Diagramm rechts veranschaulicht die Bestimmung der Teilchenmassen und Auftrefforte auf der Detektoroberfläche. Die Teilchenmasse ist durch die Pulshöhe gegeben. (Bild: MPIK)

Eines dieser Moleküle ist Blausäure (HCN – das Wasserstoffatom ist an das Kohlenstoffatom gebunden), deren wesentlich energiereicheres Isomer Isoblausäure (HNC – das Wasserstoffatom ist an das Stickstoffatom gebunden) etwa genauso häufig gefunden wird wie Blausäure selbst. Bei tiefen Temperaturen sollte im freien Raum normale Blausäure weit überwiegen.

Schon lange wurde vermutet, dass die Bildung dieser oft sehr energetischen Isomere auf die allgemeine Art der Molekülbildung in interstellaren Wolken zurückzuführen sei. Sie erfolgt letztlich durch die ionisierende Strahlung, die das Weltall durchdringt. Hierbei bildet sich auf einem verschlungenen Weg zuerst ein symmetrischer Vorläufer, das Ion HCNH+. Trifft ein HCNH+-Ion mit einem Elektron zusammen, wird es neutralisiert und zerfällt in Bruchstücke, wobei freie Energie entsteht. Auf diesem Weg ist die Bildung beider Isomere möglich.

Abb.: Auf den neuen Labordaten beruhendes Schema für die Produktion beider Isomere des Blausäure-Moleküls in interstellaren Wolken. (Bild: MPIK)

Forscher am MPI für Kernphysik haben nun diese elementare Aufbruchreaktion genau vermessen – unter Bedingungen, die denen in interstellaren Wolken sehr nahe kommen. Im Heidelberger Ionenspeicherring brachten sie Elektronen und DCND+-Ionen (HCNH+ mit schwerem Wasserstoff, D = Deuterium) einzeln zum Stoß, und zwar bei extrem geringen Stoßenergien, die der Temperatur von ca. –260 Grad Celsius in den interstellaren Wolken entsprechen. Mit einem neu entwickelten großflächigen Detektor bestimmten sie die Orte und die Teilchenmassen der Fragmente D und DCN bzw. DNC. Nur so konnte sichergestellt werden, dass das Experiment immer nur genau der Aufbruch in zwei Teilchen registrierte. Eine Unterscheidung zwischen den beiden Isomeren des Produktmoleküls war bei diesem Teilchenphysik-Experiment zwar nicht möglich; dafür ließ sich aber die Bewegungsenergie der Bruchstücke genau bestimmen.

Diese freigesetzte Bewegungsenergie war viel geringer als erwartet. Die fehlende Energie konnte nur im Produktmolekül stecken und war extrem hoch – das Molekül war also „heiß“, was von einigen Theoretikern bereits vermutet worden war. Dies bedeutet jedoch, dass in dem heftig schwingenden Produkt der kalten Reaktion immer noch häufige Platzwechsel von Atomen möglich sind. Das in interstellaren Gaswolken gebildete Molekül kann daher beide geometrischen Formen annehmen, während es seine hohe innere Energie allmählich in die Umgebung abstrahlt. Sehr häufig – in etwa der Hälfte aller Fälle – entsteht dabei das energiereiche Isomer.

MPIK / PH

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