14.10.2004

Hilflose Neutronen

Dämpfer für die Fusionsforschung - superschweres Helium-6 hat doch keine höhere Fusionsrate als Helium-4.




Dämpfer für die Fusionsforschung - superschweres Helium-6 hat doch keine höhere Fusionsrate als Helium-4.

Leuven (Belgien) - JET, ITER oder Wendelstein-7X: Mit zahlreichen Versuchsanlagen wollen Europas Physiker Schritt für Schritt das Geheimnis der Kernfusion für die Stromgewinnung lüften. Zusätzliche Neutronen in den Atomkernen des "Brennstoffs" sollten die Wahrscheinlichkeit für die Energie spendenden Kernverschmelzungen erhöhen helfen. Doch ein internationales Team von Physikern entdeckte nun bei Experimenten mit superschwerem, radioaktivem Helium-6, das zwei zusätzliche Neutronen enthält, dass sich die Fusionsraten dieser Kerne dadurch nicht verbessern ließen. Über diesen Dämpfer für die Fusionsforschung berichten sie im Fachblatt "Nature".

"Bei Energien unterhalb der Fusions-Barriere fanden wir keinen Hinweis auf eine substanziell gesteigerte Fusionsrate"; erklären Riccardo Raabe von der belgischen Universität Leuven und seine Kollegen aus Italien, Frankreich, Polen und Brasilien. Für ihr Experiment nutzten sie Helium-6-Kerne, bei denen zwei schwach gebundene Neutronen ein so genanntes Halo um den inneren Kern (2p,2n) bilden. Dieses Neutronen-Halo sollte - so die Idee - die Potenzial-Barriere so weit herabsetzen, dass leichter eine Verschmelzung von zwei Kernen auftreten kann. Denn der Zusammenhalt des gesamten Helium-Kerns könne durch diese Zusatzneutronen geschwächt werden.

Schematischer Aufbau des Experiments: Ein Helium-6-Strahl trifft auf ein UF 4-Target, das von 40 Silizium-Detektoren umgeben ist. (Quelle: R.Raabe et al.)

In früheren Experimenten, bei denen He-6-Kerne auf eine feste Probe aus Uranflourid (UF 4) mit dem Isotop Uran-238 (target) beschleunigt wurden, zeigten sich stark erhöhte Zerfallsraten, die vorangegangenen Fusionsreaktionen zugesprochen wurden. Raabe und Kollegen wiederholten nun solche Kollisionen im Centre de Recherches du Cyclotron, das ebenfalls an der Universität Leuven angesiedelt ist. Dabei konnten sie durch eine geschickte Koinzidenz-Messung genau feststellen, was die Ursache für die erhöhte Kernreaktionsrate unterhalb der Potenzial-Barriere bildete. Bei Kern-Beschleunigungen mit 15 bis 29,5 Megaelektronenvolt (MeV) gaben die Helium-6-Kerne ihre locker gebundenen Halo-Neutronen lediglich an das Uran ab. Die Zerfallskanäle des dabei entstandenen U-240 und die Anzahl der hinter dem Target nachgewiesenen Helium-4-Kerne belegten diesen Prozess eindeutig. "Die Daten von Raabe und seinen Kollegen liefern eine klare Demonstration, dass die vielen Spaltungs-Ereignisse unterhalb der Fusions-Barriere keine Folgen einer Fusion mit Helium-6 sind"; erklären auch David Hinde und Mahananda Dasgupta von der australischen National University in Canberra in einem begleitenden Kommentar in der gleichen "Nature"-Ausgabe.

Jan Oliver Löfken

Weitere Infos:

Weitere Literatur:

  • Austin, S. M. & Bertsch, G. F. Halo nuclei. Sci. Am. 272, 62–67 (1995).  
  • Hansen, P. G. & Jonson, B. The neutron halo of extremely neutron-rich nuclei. Europhys. Lett. 4, 409–414 (1987).  
  • Zhukov, M. V. et al. Bound state properties of Borromean halo nuclei: 6He and 11Li. Phys. Rep. 231, 151–199 (1993).  
  • Beckerman, M. Sub-barrier fusion of two nuclei. Rep. Prog. Phys. 51, 1047–1103 (1988).  
  • Takigawa, N., Kuratani, M. & Sagawa, H. Effect of breakup reactions on the fusion of a halo nucleus. Phys. Rev. C 47, R2470–R2473 (1993).  
  • Canto, L. F., Donangelo, R., de Matos, L. M., Hussein, M. S. & Lotti, P. Complete and incomplete fusion in heavy ion collisions. Phys. Rev. C 58, 1107–1117

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