Keine Hinweise auf sterile Neutrinos
Ergebnisse des KATRIN-Experiments und der MicroBooNE-Kollaboration bestätigen das Standardmodell der Teilchenphysik.
In den 1990er-Jahren zeigte ein Experiment in den USA bei der Untersuchung von Neutrino-Oszillationen mehr Teilchenwechselwirkungen als theoretisch vorhergesagt. Eine populäre Erklärung für dieses ungewöhnliche Ergebnis war die Annahme einer vierten Neutrino-Art, den sterilen Neutrinos. Dieses hypothetische Teilchen wäre jedoch noch schwerer nachweisbar als seine bekannten „Verwandten“ und würde lediglich auf die Schwerkraft reagieren. „Mit der damals verfügbaren Detektortechnologie waren Neutrinos jedoch weniger zuverlässig messbar. Aus diesem Grund entstand 2007 die Idee für das MicroBooNE-Experiment“, sagt Michele Weber, Direktor des Laboratoriums für Hochenergiephysik (LHEP) und ehemaliger wissenschaftlicher Leiter des MicroBooNE-Experiments am Fermilab. Eine zweite Studie beruht auf Messungen des KATRIN-Experiments in Karlsruhe, das dort seit 2019 Tritium-β-Zerfallsspektrum mit unübertroffener Präzision misst.




Die neusten Resultate von MicroBooNE zeigen keine Hinweise auf sterile Neutrinos. Die Ergebnisse entsprechend damit den Resultaten des MicroBooNE-Experiments aus dem Jahr 2021 (Link s. Kasten). Mit diesem neuen Ergebnis konnte MicroBooNE mit 95-prozentiger Sicherheit eine Erklärung der Anomalien in früheren Experimenten durch ein einziges steriles Neutrino ausschließen. „Eine Entdeckung ist natürlich immer spannender, aber die Ergebnisse sind damit nicht weniger aussagekräftig oder bedeutsam. Sie zeigen, wozu moderne Neutrino-Detektoren heute in der Lage sind, und beantworten definitiv eine fundamentale Frage in der Physik“, erklärt Weber. „Die Ergebnisse werden die Physikerinnen und Physiker dazu motivieren, nach möglichen weiteren Erklärungen für die Anomalien zu suchen“, so Weber weiter.
KATRIN detektierte über 259 Messtage hinweg 36 Millionen Elektronen und die Forschenden verglichen diese Daten mit einem β-Zerfallsmodell. Dabei konnte eine Messgenauigkeit im Sub-Prozent-Bereich erreicht werden. Es wurden keine Hinweise auf ein steriles Neutrino gefunden. Das Ergebnis schließt daher einen großen Teil des möglichen Parameterraums aus, der durch frühere Anomalien in Messdaten vermutet wurde: kleine, aber signifikante Mess-Defizite, die in Reaktor-Neutrino- und Galliumquellen-Experimenten beobachtet wurden und auf einen vierten Neutrino-Zustand hindeuteten. Es schließt zudem auch die Ergebnisse des Neutrino-4-Experiments vollständig aus, das Hinweise auf ein solches Signal gemeldet hatte. Mit einem ausgezeichneten Signal-zu-Hintergrund-Verhältnis, das sicherstellt, dass nahezu alle detektierten Elektronen aus dem β-Zerfall von Tritium stammen, erreicht KATRIN eine bemerkenswert klare Messung der Spektralform. Im Gegensatz zu Oszillationsexperimenten untersucht KATRIN die Energieverteilung der Neutrinos am Entstehungsort. Aufgrund dieser unterschiedlichen Nachweismethoden ergänzen sich die beiden Mess-Ansätze und liefern so einen aussagekräftigen Test, der die Hypothese der sterilen Neutrinos widerlegt.
„Unser neues Ergebnis ergänzt Reaktorexperimente wie STEREO in vollem Umfang“, erklärt Thierry Lasserre vom MPI für Kernphysik in Heidelberg, der die Analyse des Ergebnisses leitete. „Während Reaktorexperimente am empfindlichsten für steril–aktive Massendifferenzen unterhalb weniger eV2 sind, untersucht KATRIN den Bereich von wenigen bis zu mehreren hundert eV2. Zusammen schließen die beiden Ansätze nun konsequent leichte sterile Neutrinos aus, die sich nachweisbar mit den bereits bekannten Neutrinoarten vermischen würden.“
Da die Datenerfassung bis 2025 fortgesetzt wurde, wird die Empfindlichkeit von KATRIN weiter zunehmen, und so eine noch genauere Suche nach leichten sterilen Neutrinos ermöglichen. „Bis zum Abschluss der Datenerfassung im Jahr 2025 wird KATRIN mehr als 220 Millionen Elektronen im relevanten Bereich aufgezeichnet haben, wodurch sich die Statistik um mehr als das Sechsfache erhöht“, sagt KATRIN-Co-Sprecherin Kathrin Valerius vom KIT. „Dadurch können wir die Grenzen der Präzision erweitern und Mischungswinkel unterhalb der derzeitigen Limits untersuchen.“ Im Jahr 2026 wird das KATRIN-Experiment mit dem TRISTAN-Detektor aufgerüstet, der das gesamte Tritium-β-Zerfallsspektrum mit beispielloser Statistik aufzeichnen kann. Durch die Umgehung des Hauptspektrometers und die direkte Messung der Elektronenenergien wird TRISTAN die Reichweite von KATRIN auch auf größere Massen der sterilen Neutrinos ausweiten. „Damit werden wir ein neues Fenster zum keV-Massenbereich öffnen. In diesem Bereich könnten sterile Neutrinos sogar einen Baustein der dunklen Materie im Universums darstellen“, sagt Co-Sprecherin Susanne Mertens, Direktorin am MPI. [MPIK / U Bern / FNAL / dre]
Weitere Informationen
- Originalpublikationen
The MicroBooNE Collaboration, Search for light sterile neutrinos with two neutrino beams at MicroBooNE, Nature 648, 64–69, 4. Dezember 2025; DOI: 10.1038/s41586-025-09757-7
The KATRIN Collaboration, Sterile-neutrino search based on 259 days of KATRIN data. Nature 648, 70–75, 4. Dezember 2025; DOI: 10.1038/s41586-025-09739-9 - MicroBooNE liquid argon time projection chamber (LArTPC) experiment, Fermi National Accelerator Laboratory, Batavia, Illinois
- Laboratorium für Hochenergiephysik (LHEP), Physikalisches Institut, Universität Bern / Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC)
- Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment KATRIN, Karlsruher Institut für Technologie
- OMNIA – Oszillationen, Masse, Neutrinos, Interaktionen, Astroteilchen (Thierry Lasserre), Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK), Heidelberg
Anbieter
Max-Planck-Institut für KernphysikSaupfercheckweg 1
69117 Heidelberg
Deutschland
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