Mit 12.000 Stundenkilometern in die Atmosphäre
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt testet scharfkantiges Raumfahrzeug mit neuartigem Hitzeschild.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt testet scharfkantiges Raumfahrzeug mit neuartigem Hitzeschild.
Der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre gilt als einer der kritischsten Momente in der Raumfahrt. Um den Flug ins All und zurück zur Erde sicherer, billiger und flexibler zu machen, entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein experimentelles Raumfahrzeug. Das SHEFEX II genannte Flugprojekt verwendet neuartige Technologien wie ein scharfkantiges Design und eine aktive Kühlung des Hitzeschildes. Ein Modell des Raumfahrzeugs haben Wissenschaftler jetzt erstmals in einem Windkanal in Göttingen getestet.
Abb. 1: Computeranimation des Wiedereintritts - SHEFEX II soll mit mehr als 12.000 Stundenkilometern in die Erdatmosphäre eintauchen. (Bild: DLR)
Anfang 2011 soll SHEFEX II (Sharp Edge Flight Experiment, steht für scharfkantiger Flugversuch) vom australischen Testgelände Woomera starten. Dabei handelt es sich in mehrfacher Hinsicht um ein einzigartiges Raumfahrzeug. In Anknüpfung an den erfolgreichen SHEFEX-I-Flug und im Unterschied zu bisherigen Raumfahrzeugen ist die Außenhaut nicht gerundet, sondern scharfkantig. Außerdem soll mit SHEFEX II erstmals eine aktive Kühlung des Hitzeschildes in der Raumfahrt getestet werden. Zudem ist es das einzige allein von Deutschland finanzierte und durchgeführte Projekt eines Raumfahrzeugs, das automatisch gesteuert zur Erde zurückkehren kann.
Die DLR-Forscher simulieren den Wiedereintritt des Raumfahrzeuges an einem Modell, um die Computerberechnungen vor dem Flug zu überprüfen. Die Windkanalversuche werden im Hochenthalpiekanal Göttingen durchgeführt, einer der wichtigsten europäischen Großanlagen zur Erforschung des Hyperschalls und Wiedereintritts von Raumfahrzeugen.
In dem 62 Meter langen Windkanal verdichtet zunächst ein Kolben ein Treibgas wie in einer riesigen Luftpumpe. Nach dem Platzen einer Stahlmembran komprimiert und heizt eine starke Stoßwelle ein Testgas, bevor es in einer Windkanaldüse auf die zehnfache Schallgeschwindigkeit beschleunigt wird. Das entspricht mehr als 12.000 Stundenkilometern.
Dann strömt das Gas um das SHEFEX-II-Modell. "Dieses Szenario simuliert den Wiedereintritt des Raumfahrzeuges in die Erdatmosphäre in einer Höhe von etwa 35 Kilometern. Hierbei entstehen in der Testanlage Temperaturen von fast 5000 Grad Celsius - so heiß wie die Oberfläche der Sonne", sagt Klaus Hannemann, Leiter der Abteilung Raumfahrzeuge im DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen.
Die scharfkantige Form von SHEFEX verspricht zwei wesentliche Vorteile. Zum einen könnte der Hitzeschild dadurch einfacher und sicherer werden. "Ein Space-Shuttle hat über 25.000 unterschiedlich geformte Kacheln. Durch die einfache Form der SHEFEX-Kacheln lassen sich die Wartungskosten des Thermalschutzsystems senken und ein einfacher Austausch im Weltall wäre denkbar", sagt Hannemann.
Außerdem resultiert die facettierte Form in verbesserten aerodynamischen Eigenschaften. "Die Kapsel erreicht fast die aerodynamischen Eigenschaften eines Space Shuttles, ist aber kleiner und benötigt keine Flügel", so Projektleiter Hendrik Weihs vom DLR-Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung Stuttgart. Zusammen mit der aktiven Kühlung ergeben sich damit für die europäische Raumfahrt völlig neue Möglichkeiten: "Wir könnten einen Landeplatz in Deutschland nutzen, wo die Kapsel punktgenau herunterkommt", erklärt Weihs.
Abb. 2: Computerillustration der Anströmgeschwindigkeiten um SHEFEX II. Diese Computer-Berechnungen werden im Windkanal-Experiment überprüft. (Bild: DLR)
Bei der aktiven Kühlung des Hitzeschildes strömt ein Gas durch Poren in den Kacheln nach außen. "Das austretende Gas bildet eine Art kühlende Schutzschicht um die Oberfläche, sodass das atmosphärische Gas nicht an das Raumfahrzeug herankommt", erklärt Weihs. Die Effusionskühlung genannte Technologie wird bereits zur Abkühlung von Brennkammern von Raketen verwendet.
"Deutschland nimmt eine Vorreiterrolle ein, was fortschrittliche Rückkehrsysteme betrifft", erklärt Weihs das nationale SHEFEX-Programm. Er hofft, dass das Programm irgendwann in ein europäisches – möglicherweise bemanntes - Raumfahrtsystem mündet.
Die Idee des SHEFEX-Programmes ist es, möglichst kostengünstig Wiedereintrittstechnologie im Flugexperiment zu testen. Dazu wird die Testkapsel auf die Spitze einer preiswerten Höhenforschungsrakete gesetzt. Der Vorgänger, SHEFEX I, war 2005 von Nord-Schweden aus gestartet. Beim 12,7 Meter hohen SHEFEX II ist die Rakete ein größeres brasilianisches Modell, um eine höhere Geschwindigkeit zu erreichen. Zudem verfügt SHEFEX II im Gegensatz zu seinem Vorgänger über kleine Stummelflügel, sogenannte Canards, mit denen das Gefährt gesteuert werden kann. Der Start vom australischen Woomera soll SHEFEX II in eine Höhe von 200 Kilometern bringen. Für die Forscher beginnt der interessanteste Teil beim Abstieg und Wiedereintritt in die Erdatmosphäre in 100 bis 20 Kilometern Höhe. Anschließend soll die Kapsel per Fallschirm in der Wüste landen.
Die aerodynamische Auslegung, die rechnerische Vorhersage des Strömungsverhaltens und die Tests im Plasmawindkanal erfolgen am DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Braunschweig, Köln und Göttingen. Der Standort Köln ist für die Instrumentierung der Nutzlast verantwortlich. Das SHEFEX-II-Experiment selbst hat das DLR-Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung in Stuttgart entwickelt, hergestellt und integriert. Die Bereitstellung der Rakete sowie die Durchführung des Starts erfolgt durch die Mobile Raketenbasis (Moraba) des DLR aus Oberpfaffenhofen. Das neue DLR-Raumfahrtinstitut in Bremen ist mit einem Navigationsexperiment beteiligt.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Eckdaten von SHEFEX II
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AL