12.11.2012

Mit Atomuhren ins Erdinnere schauen

Ultrapräzise portable Atomuhren stehen kurz vor dem Durchbruch. Bald lässt sich mit ihrer Hilfe und dem Knowhow der Astrophysik das Erdinnere kartieren.

Erzlagerstätten oder verborgene Wasservorkommen im Innern der Erde von der Oberfläche aus identifizieren? Ultrapräzise portable Atomuhren helfen mit, dies in den nächsten Jahren zu verwirklichen. Davon ist ein internationales Team um die Astrophysiker Philippe Jetzer und Ruxandra Bondarescu von der Universität Zürich überzeugt. Wie die Wissenschaftler zeigen, haben diese Atomuhren jetzt das erforderliche Maß an Präzision erreicht, um sie für geophysikalische Vermessungszwecke einsetzen zu können. Neben der direkten Messung des Geoids – der wahren physikalischen Form der Erde – können solche Atomuhren in Zukunft der Erkundung des Erdinnern dienen.

Abb.: Voraussichtlich 2014 nimmt ACES ein erster hochpräziser Atomuhr-Prototyp, im Raumlabor Columbus der Internationalen Raumstation ISS seine Arbeit auf. (Bild: ESA, D. Ducros)

Heute lässt sich das Geoid der Erde – der Fläche, auf der das gleiche Erdanziehungspotential herrscht – nur indirekt erschließen. Ausgangswert für die Berechnungen bildet die Erdanziehung an der Oberfläche der Ozeane. Um das Geoid im Bereich der Kontinente zu berechnen, werden die relativen Abweichungen der Satellitenumlaufbahnen von der Ideallinie herangezogen und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Höhe über Meer des überflogenen Orts aufwändig umgerechnet. Die verfahrensabhängigen Unsicherheiten sind dabei groß. Die geringe geografische Auflösung von zirka hundert Kilometern bringt zusätzliche Unschärfe in die Resultate.

Die Bestimmung des Geoids mit Hilfe von Atomuhren basiert auf Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie und wird seit bald dreißig Jahren theoretisch diskutiert. Die Idee ist, dass Uhren, die sich in verschiedenen Distanzen zu einem massiven Körper und dessen Gravitationsfeld befinden, unterschiedlich schnell ticken. Je näher die Uhr beim Körper ist, desto langsamer läuft sie. Der Gangunterschied der beiden Uhren ist allerdings so gering, dass es bislang nicht möglich gewesen ist, die postulierte Zeitdifferenz tatsächlich zu messen. „Die ultrapräzisen Atomuhren der neusten Generation können die Zeitdifferenz zweier dreißig Zentimeter übereinander positionierter Uhren effektiv messen“, erläutert Bondarescu. Damit rückt die Vermessung des Geoids der Erde in greifbare Nähe.

Bondarescu schlägt vor, für die Bestimmung des Geoids eine ultrapräzise Atomuhr auf Meereshöhe zu platzieren, also auf der exakten Höhe des Geoids. Eine zweite solche Atomuhr kommt an einen beliebigen Punkt auf dem Festland und wird mit der ersten Uhr über ein Glasfaserkabel synchronisiert. Die zweite Uhr läuft langsamer oder schneller – je nachdem, ob sie sich unter oder über dem Geoid befindet. Anhand der exakten Höhe über Meer des Messpunktes und der festgestellten Gangunterschiede sind Geophysiker anschließend in der Lage, Aussagen über die Beschaffenheit des Untergrundes zu machen. Auf diese Weise lässt sich der Verlauf tektonischer Platten, unterirdischer Wasservorkommen oder Erzlagerstätten kartieren.

Kartierungen sind grundsätzlich bis in sehr große Tiefen möglich, vorausgesetzt, die zu messende Struktur im Erdinnern und ihr Dichteunterschied zum Umgebungsmaterial sind ausreichend groß. Wie die Wissenschaftler numerisch aufzeigen, können sie mittels ultrapräziser Atomuhren eine Struktur mit einer Ausdehnung von nur 1,5 Kilometern Durchmesser und einer geringfügigen Dichteanomalie von zwanzig Prozent in einer Tiefe von zwei Kilometern detektieren.

Zurzeit funktionieren ultrapräzise Atomuhren nur in Labors, sie sind nicht transportierbar und entsprechend nicht für Messungen im Feld geeignet. Doch dies ändert sich in den nächsten Jahren: Bereits heute arbeiten verschiedene Unternehmen und Forschungsinstitute, darunter auch das in Neuchâtel ansässige Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique CSEM, an der Entwicklung von portablen ultrapräzisen Atomuhren. „Frühestens 2022 fliegt eine solch ultrapräzise portable Atomuhr an Bord eines ESA-Satelliten ins All fliegen“, sagt Philippe Jetzer, Schweizer Delegierter der STE-QUEST-Satellitenmission, deren Ziel es ist, die allgemeine Relativitätstheorie sehr genau zu prüfen. Bereits 2014 oder 2015 soll das Atomic Clock Ensemble in Space (ACES) zur Internationalen Raumstation ISS starten. ACES ist ein erster Prototyp, der allerdings noch nicht die Präzision von STE-QUEST hat.

UZH / OD

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