Mit Musiksoftware Mikro-Erdbeben schneller finden
Neuer Algorithmus spürt bisher übersehene Erschütterungen auf und ermöglicht zuverlässigere Vorhersagen.
Noch immer kann kein Geophysiker schwere Erdbeben zuverlässig vorhersagen. Aber um die komplexen Abläufe der Gesteinsspannungen im Boden besser verstehen zu können, werden zunehmend auch sehr schwache Erschütterungen analysiert. Diese können nun aus den Datensätzen der Bebenstationen mit einem neuen Computeralgorithmus, entwickelt von kalifornischen Wissenschaftlern, einfacher und effektiver herausgefiltert werden. Erste Versuche bestätigten, dass diese Methode die Datenanalyse deutlich beschleunigen und sogar bisher unerkannte Mikrobeben aufspüren konnte.
„Für unseren Ansatz nutzen wir eine Methode, die auch bei Suchmaschinen und Apps verwendet wird“, sagt Clara Yoon von der Stanford University. Bisher beurteilen Geophysiker die Spektren der Bodenerschütterungen, die Seismogramme, häufig einzelnd, da sich eine automatisierte Evaluation als zu fehleranfällig erwies. Viel weniger Zeit benötigte der neue Algorithmus – FAST – Fingerprint And Similiraty Thresholding –, der die Seismogramme auf Ähnlichkeiten in ihrer Struktur untersuchte. Vorbild war dabei die Erkennungssoftware für Musikstücke Shazam, der schon anhand weniger Takte eine fehlerfreie Identifizierung gelingt.
Abb.: Schema der FAST-Technik (Bild: I. Ocko, Stanford U.)
Yoon und Kollegen testeten den FAST-Algorithmus an einem Datenpaket, das Seismogramme der kalifornischen Erdbebenwarte an der Calaveras-Verwerfung enthielt, die über eine Woche aufgezeichnet wurden. Automatisch zerteilte die Software diese Langzeitaufzeichnung in kurze, wenige Sekunden lange Seismogramme. Diese zahlreichen Datenschnipsel fasste die Software abhängig von ihrer Ähnlichkeit in der Struktur zu wenigen Gruppen zusammen. Vergleiche mit Seismogrammen von zuvor an dieser Erdbebenwarte aufgezeichneten Beben ermöglichten, sehr schwache, aber echte seismische Signale von nicht nutzbaren Daten und Untergrundrauschen zu unterscheiden. Denn Erschütterungen in einer Region erzeugen immer sehr ähnliche Seismogramme völlig unabhängig von der Stärke eines Bebens.
Die FAST-Software benötigte für diese Datenanalyse nur etwa zwei Stunden statt einiger Tage mit der herkömmlichen Sichtung der Seismogramme. Nicht nur alle Beben, die eine klassische Analyse ergab, konnten dabei identifiziert werden, sondern auch mehrere Dutzend sehr schwache Erschütterungen. Diese Mikrobeben mit einer Magnitude von unter 1 („nicht spürbar“) waren zuvor nicht erkannt worden, können nun aber wichtige Hinweise auf die geologische Dynamik der Region liefern. Zudem erlaubt eine möglichst vollständige Auflistung aller Beben eine genauere Bilanz der im Untergrund aufgebauten und durch Beben wieder reduzierten Spannungen.
„Mit dieser Methode könnten wir nun sogar noch unbekannte Fehlstellen und Verwerfungen im Untergrund aufspüren“, sagt Yoon. Mit ihren Kollegen will sie nun noch größere Datensätze mehrerer Bebenwarten mit FAST auswerten und die Qualität der Analysen mit denen herkömmlicher Auswertungen vergleichen. Insgesamt könnte die breite Analyse von Mikrobeben genauere Angaben zum zukünftigen Bebenrisiko in einer Region liefern. Doch auch vom Menschen verursachte Erschütterungen, wie sie etwa beim intensiven Einsatz von Fracking-Methoden in den USA entstehen, ließen sich mit diesem Algorithmus zuverlässiger aufzeichnen.
Jan Oliver Löfken
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