04.09.2015

Nanoperlen für die Stahlschmiede

Liniendefekte in der Kristallstruktur beeinflussen Eigenschaften von Materialien.

Manganhaltiger Stahl bildet an linienförmigen Defekten eine andere Kristallstruktur, als sie typisch ist für das Material. Das zeigen Unter­suchungen von Forschern am MPI für Eisenforschung in Düsseldorf. Liniendefekte, genauer gesagt Stufenversetzungen, entstehen, wenn eine Schicht unvollständig bleibt, sodass die darüber- und die darunterliegende Schicht eine Stufe nehmen müssen. Da sich die Länge der Liniendefekte in einem Kubikmeter Stahl auf ein Lichtjahr summieren kann, dürfte die Entdeckung große praktische Bedeutung haben. Denn von der Struktur eines Stahls hängt unter anderem ab, wie formbar, wie fest und wie zäh er ist – Eigenschaften, die Materialwissenschaftler immer weiter optimieren wollen.

Abb.: Aufnahmen eine Transmissions-Elektronenmikroskops (grau) zeigen Liniendefekte in einer Legierung aus Eisen (Fe) und Mangan (Mn). Die Atomsonden-Tomografie zeigt die Verteilung der Eisen- (blau) und Manganatome (grün). Manganatome reichern sich entlang der Liniendefekte an, dort bildet sich eine andere Kristallstruktur als im umliegenden Material. (Bild: M. Kuzmina, MPIE)

„Über die Zustände sind wir eher zufällig gestolpert“, sagt Dierk Raabe, Direktor am MPI für Eisenforschung und Leiter der Studie. Er untersuchte mit seinem Team die Mikro- und Nanostruktur eines besonders festen und zähen manganhaltigen Stahls, der mit Nanopartikeln verstärkt ist und etwa im Fahrwerk großer Flugzeuge verbaut wird. Dieses Material analysierten sie mithilfe der Atomsonden-Tomografie. Dabei wird eine Probe Atom für Atom mit kurzen Pulsen einer elektrischen Spannung verdampft. Aus der Flugzeit zu einem Detektor lässt sich ermitteln, zu welchem Element das abgelöste Atom gehört. Aus der Stelle, an der das Atom im Detektor einschlägt, seine Position in der Probe.

Dabei fiel den Forschern auf, dass sich die Konzentration des Mangans entlang bestimmter Linien erhöhte, nachdem sie das Material erhitzt hatten. Nur zwei Nanometer sind die feinen Schläuche weit, in denen sich das Mangan sammelt. Und das tut es auch nicht auf ganzer Linie, sondern eher in Form einer Kette manganreicher Nanoperlen. Um die größere Zahl an Manganatomen in diesen winzigen Arealen unterzubringen, muss sich die Kristallstruktur des Materials ändern. Normalerweise sitzen an den Ecken einer würfelförmigen Elementarzelle, der kleinsten Baueinheit der Struktur Eisenatome, und nur in ihrem Inneren befindet sich ein Manganatom. Die Eisenforscher sprechen von einer kubisch-raumzentrierten oder einer Martensit-Struktur. Die Mangankonzentration in der Nano-Perlenkette ent­spricht aber einer Anordnung, in der Manganatome auf jeder Fläche der Elementarzelle untergebracht sind, also eine kubisch-flächenzentrierte oder Austenit-Struktur.

Die Forscher durchleuchteten daraufhin eine Eisen-Mangan-Probe im Transmissions-Elektronenmikroskop, das Liniendefekte deutlich sichtbar macht. Anschließend kartierten sie mithilfe der Atomsonden-Tomografie wiederum die Verteilung der Atome in der Probe. Und tatsächlich fanden sie auf den übereinandergelegten Bildern beider Methoden, wie sich die mangan­reichen Nanoperlen genau entlang der Liniendefekte aufreihten. Dass sich die Atome genau entlang der Versetzungen anders anordnen als im restlichen Kristall, legt eine Erklärung für die Beobachtung nahe: An den Versetzungen ist die Spannung besonders groß. Offenbar kann das Material die Spannung abbauen und damit einen energetisch günstigeren Zustand annehmen, indem es dort eine Kristallstruktur bildet, die ansonsten energetisch ungünstiger ist.

Damit die Atome unmittelbar an der Versetzung die Struktur, die dort, aber auch nur dort energetisch günstiger ist, annehmen können, mussten die Forscher die Atome mit Hitze erst mobilisieren. „Das bedeutet aber nicht, dass sich die räumlich begrenzten chemischen und strukturellen Zustände nur unter Hitze bilden“, sagt Raabe. Diese Zustände sind also vermutlich nicht nur in den Zylindern eines Motors, den Schaufeln einer Turbine oder anderen Materialien, die ständig großer Hitze ausgesetzt sind, anzutreffen. „Kleine Atome wie die des Kohlenstoffs sind viel mobiler als die des Mangans. Es ist also damit zu rechnen, dass wir die räumlich begrenzten Zustände auch etwa in kohlenstoff-haltigen Fahrzeugblechen antreffen.“

Wie sich der lokale Strukturwandel auf die Eigenschaften eines Materials auswirkt, wollen die Forscher nun untersuchen. „Vielleicht helfen unsere Erkenntnisse auch bereits bekanntes Verhalten von Metallen zu erklären – die Tatsache etwa, dass Metalle spröde werden, etwa wenn sie korrodieren und Wasserstoff aufnehmen“, sagt Raabe. Es muss aber nicht immer schädlich sein, wenn die Kristallstruktur an Liniendefekten aus der Reihe tanzt. „Vielleicht können wir diese räumlich begrenzten Zustände auch gezielt herbeiführen, um einen Nano-Damaststahl zu entwickeln, der sich selbst schmiedet.“ Damaststahl ist ein Verbundmaterial aus einem harten, aber spröden, und einem zähen, aber weichen Stahl. Eigentlich unvereinbaren Eigenschaften könnten sich künftig auf einfache Weise miteinander kom­bi­nieren lassen, wenn sich Versetzungen als strukturgebendes Hilfsmittel einspannen ließen. Der Stahlindustrie böten sich dann ganz neue Mög­lich­keiten, einen Werkstoff noch gezielter für eine spezielle Anwendung zu optimieren.

MPG / RK

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