26.01.2022

Neuronale Netze simulieren Quark-Gluon-Plasma

Künstliche Intelligenz hilft bei der Analyse von Teilchenkollisionen.

Unmittelbar nach dem Urknall bildete das ganze Universum Quark-Gluon-Plasma, heute stellt man ihn durch hoch­energetische Atomkern­kollisionen her. Wenn man solche Prozesse analysieren will, ist man auf Hochleistungs­computer angewiesen – und auf komplexe Computer­simulationen, deren Ergebnisse schwierig auszuwerten sind. Daher liegt die Idee nahe, künstliche Intelligenz bzw. machine learning dafür zu verwenden. Gewöhnliche machine-learning-Algorithmen sind für diese Aufgabe allerdings nicht geeignet. Die mathematischen Eigenschaften der Teilchen­physik machen eine ganz besondere Struktur von neuronalen Netzen notwendig. An der TU Wien konnte nun gezeigt werden, wie man neuronale Netze mit Erfolg für diese heraus­fordernden Aufgaben der Teilchen­physik nutzen kann.

Abb.: Visualisierung eines Quark-Gluon-Plasmas nach der Kollision zweier...
Abb.: Visualisierung eines Quark-Gluon-Plasmas nach der Kollision zweier Atomkerne. (Bild: TU Wien)

„Ein Quark-Gluon-Plasma möglichst realistisch zu simulieren nimmt extrem viel Rechenzeit in Anspruch“, sagt Andreas Ipp vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. „Selbst die größten Supercomputer der Welt sind damit rasch überfordert.“ Es wäre daher wünschenswert, wenn man nicht jedes Detail präzise berechnen müsste, sondern mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz gewisse Eigenschaften erkennen und vorhersagen könnte. Man verwendet daher neuronale Netze, wie sie etwa auch für die Bild­erkennung verwendet werden: Virtuelle Zellen werden am Computer auf ähnliche Weise vernetzt wie Neuronen im Gehirn – und so entsteht ein Netz, das zum Beispiel erkennen kann, ob auf einem bestimmten Bild eine Katze zu sehen ist oder nicht. 

Wenn man diese Technik auf das Quark-Gluon-Plasma anwendet, stößt man allerdings auf ein schwer­wiegendes Problem: Die Felder, mit denen man die Teilchen und die Kräfte zwischen ihnen mathematisch beschreibt, können auf unter­schiedliche Arten dargestellt werden. „Man spricht hier von Eichsymmetrien“, sagt Ipp. „Das Grundprinzip kennen wir aus dem Alltag: Wenn ich ein Messgerät anders eiche, etwa wenn ich bei meinem Thermometer statt der Celsius-Skala die Kelvin-Skala verwende, dann erhalte ich völlig andere Zahlen, auch wenn ich denselben physikalischen Zustand beschreibe. Bei Quanten­theorien ist es ähnlich – nur dass dort die erlaubten Eichungen mathematisch viel komplizierter sind.“ Mathe­matische Objekte, die auf den ersten Blick völlig unterschiedlich aussehen, können denselben physikalischen Zustand beschreiben.

„Wenn man diese Eich­symmetrien nicht berücksichtigt, kann man die Ergebnisse der Computer­simulationen nicht sinnvoll inter­pretieren“, sagt David I. Müller. „Einem neuronalen Netz beizubringen, diese Eich­symmetrien von sich aus zu erkennen, wäre extrem schwierig. Viel besser ist es, von vornherein die Struktur des neuronalen Netzes so zu gestalten, dass die Eich­symmetrie automatisch berücksichtigt wird – dass also unter­schiedliche Darstellungen desselben physikalischen Zustands im neuronalen Netz auch dieselben Signale hervorrufen. Genau das ist uns jetzt gelungen: Wir haben ganz neue Netzwerk-Schichten entwickelt, die von sich aus die Eichinvarianz berück­sichtigen.“ In einigen Beispiel­anwendungen wurde gezeigt, dass diese Netze tatsächlich viel besser lernen können, mit den Simulations­daten des Quark-Gluon-Plasmas umzugehen.

„Mit solchen neuronalen Netz­werken wird es möglich, Vorhersagen über das System zu treffen – etwa abzuschätzen, wie das Quark-Gluon-Plasma zu einem späteren Zeitpunkt aussehen wird, ohne wirklich jeden einzelnen zeitlichen Zwischen­schritt im Detail ausrechnen zu müssen“, sagt Andreas Ipp. „Und gleichzeitig ist sichergestellt, dass nur solche Ergeb­nisse herauskommen können, die der Eichsymmetrie nicht widersprechen – die also prinzipiell physikalisch sinnvoll sind.“ Bis man etwa Atomkern­kollisionen am Cern mit solchen Methoden vollständig simulieren kann, wird noch einige Zeit vergehen, aber die neue Art neuronaler Netze liefert ein völlig neues und vielver­sprechendes Werkzeug um physikalische Phänomene zu beschreiben, bei denen alle anderen Rechen­methoden sehr rasch völlig überfordert sind. 

TU Wien / JOL

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