Neutrinos als wilde Raser?
Nach Messungen des Opera-Experiments bewegen sich Neutrinos mit Überlichtgeschwindigkeit!
Wer sich im Straßenverkehr nicht an das Geschwindigkeitslimit hält, bekommt einen Strafzettel oder Punkte in Flensburg. Wenn sich Elementarteilchen schneller als Lichtgeschwindigkeit bewegen, gibt es keine Strafverfolgung. Dafür versetzt es die Forscher in Unruhe und lässt die Fundamente der Physik erzittern. Nun haben Forscher des Opera-Exeriments im italienischen Untergrundgrundlabor Gran Sasso Messungen veröffentlicht, die darauf hindeuten, dass sich Neutrinos mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen. Diese Ergebnisse beruhen auf der Beobachtung von rund 16.000 Neutrinoereignissen seit 2009. Die Partikel stammen dabei vom 730 Kilometer entfernten europäischen Kernforschungslabor Cern in Genf, wobei die Entfernung zwischen den beiden Laboren bis auf 20 Zentimeter genau bekannt ist. Das Ergebnis: die Geschwindigkeit der Neutrinos liegt 20 ppm (parts per million) über der Lichtgeschwindigkeit. Das bedeutet, die beobachteten Neutrinos sind rund 60 Nanosekunden schneller, als es Einsteins spezielle Relativitätstheorie erlaubt.
Abb.: Der Opera-Detektor im Gran-Sasso-Untergrundlabor enthält 150.000 „Backsteine“ aus Bleifolien und Filmemulsionen, um Tau-Neutrinos vom 730 km entfernten Cern nachzuweisen. (Bild: Opera Coll. / LNGS)
Die beteiligten Physikerinnen und Physiker haben diese Ergebnisse nicht leichtfertig veröffentlicht. „Nach monatelangen Analysen und Gegenproben haben wir keinen instrumentellen Effekt gefunden, der das Resultat erklären könnte“, betont Opera-Sprecher Antonio Ereditato. Allerdings ist es wichtig zu beachten, dass die Messung der Neutrino-Geschwindigkeit nicht einfach auf der Differenz einer festen Start- und Ankunftszeit der Neutrinos beruht, sondern ein Vergleich zweier Event-Zeitverteilungen. Dabei gilt es unter anderem die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der beteiligten Teilchenreaktionen zu berücksichtigen, über die sich die Neutrinos nachweisen lassen.
Die Beobachtung überlichtschneller Neutrinos ist allerdings noch kein Grund dafür, die bewährte Relativitätstheorie zu Grabe zu tragen, sondern ist das Signal an andere Arbeitsgruppen, weitere, unabhängige Messungen zu machen. Die Opera-Physiker selbst sind weiterhin auf der Suche nach möglichen systematischen Fehlern. „Die möglichen Auswirkungen auf die Wissenschaft ist zu groß, um unmittelbare Schlüsse zu ziehen oder physikalische Interpretationen zu versuchen“, betont daher Ereditato. Insgeheim dürften jedoch viele Forscher hoffen, dass sich das Ganze nicht als bloßer Messfehler herausstellt. Neue Physik ist natürlich verlockender als ein „physikalischer Strafzettel“.
Alexander Pawlak, Physik Journal