22.09.2015

Perfektes Glas aus ultraweichen Kolloiden

Neues Modellsystem aus Jülich fließt bis zum Glasübergang nach der Stokes-Einstein-Gleichung.

Der Glaszustand gibt Physikern immer noch viele Rätsel auf. Doch Jülicher Wissenschaftler konnten nun einen Zusammenhang feststellen zwischen der Bewegung einzelner Teilchen und den Fließeigenschaften bis hin zu dem Punkt, an dem das Material glasartig erstarrt. Diese Beziehung wird auch durch die sogenannte Stokes-Einstein-Gleichung erfasst, die aber meist schon weit vor dem Glasübergang ihre Gültigkeit verliert. Anders im aktuellen Fall, in dem extrem weiche Kolloide dafür sorgen, dass die Beziehung erhalten bleibt. Die Ergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten, die Fließeigenschaften von Nano-Materialien zu verbessern.

Abb.: Ultraweiche Kolloide, die bis zum Glasübergang einheitlich beweglich bleiben. (Bild: U. Antonio Nariño / FZJ)

Gläser weisen in vielerlei Hinsicht widersprüchliche Eigenschaften auf. Gewonnen werden sie meist durch das Abkühlen einer Flüssigkeit, das so rasch vonstattengeht, dass die Moleküle nicht zu einer geordneten Kristallstruktur zusammenfinden. Die mikroskopische Struktur von Gläsern ähnelt daher der einer Flüssigkeit, doch mechanisch verhalten sie sich eher wie ein Festkörper. Und auch ihre Dynamik, also das Verhalten von Gläsern bei Bewegung, passt nicht so recht ins Schema. Für gewöhnlich hängt die Fließfähigkeit einer Lösung direkt damit zusammen, wie beweglich die einzelnen Teilchen sind. Aber schon kurz vor dem Glasübergang wird dieser Zusammenhang außer Kraft gesetzt.

Grund dafür ist die zunehmend unterschiedliche Mobilität der Teilchen: Zu den frei beweglichen Teilchen gesellen sich immer mehr Partikel, die fest an einen Ort gebunden sind. Die Beweglichkeit eines einzelnen Teilchens ist damit kaum noch repräsentativ für die Fließfähigkeit der gesamten Lösung. Für Physiker interessant ist auch die Tatsache, dass Flüssigkeiten kurz vor dem Glasübergang nicht weiter der Stokes-Einstein-Gleichung gehorchen. Albert Einstein hatte mit dieser Gleichung bereits im Jahre 1905 beschrieben, wie die Viskosität einer Flüssigkeit mit der Diffusionsgeschwindigkeit zusammenhängt und auf diese Weise eine Beziehung zwischen den mikro- und makroskopischen Eigenschaften hergestellt.

Das Besondere an den Kolloiden, die Jülicher Wissenschaftler nun gemeinsam mit Partnern aus den USA, Italien, Österreich, Kolumbien und Schweden untersucht haben, ist, dass diese Beziehung bis zum Glasübergang gültig bleibt. Mithilfe von Computersimulationen und Experimenten konnten die Forscher zeigen, dass die gelösten Kolloide so lange einheitlich beweglich bleiben, bis die Lösung zum Glas erstarrt. Die gelösten Partikel sind dabei deutlich größer als die Moleküle, in der Regel Silikate, aus denen normale Trink- und Fenstergläser bestehen. Entscheidend für das modellhafte Verhalten der Kolloide ist ihre außergewöhnliche Weichheit. Harte Kolloide verhalten sich in der Nähe des Glasübergangs nämlich ähnlich unberechenbar wie die allermeisten anderen glasbildenden Flüssigkeiten, wie frühere Versuche gezeigt haben.

Für die Herstellung der ultrasoften Kolloide griffen die Wissenschaftler auf ein Modellsystem zurück, eine Art „Rezeptbuch für Kolloide“, das sie erst kürzlich vorgestellt hatten. Die Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Physik des Glasübergangs und könnten zudem dazu beitragen, die Eigenschaften weicher Kolloide gezielt zu verbessern. Weiche Kolloide werden schon heute vielfältig industriell genutzt, etwa um Dispersionsfarben und Kosmetika die gewünschte Konsistenz zu verleihen oder die Fließeigenschaften bei der Erdölförderung anzupassen.

FZ Jülich / PH

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