Präzisionswaage für Elektronen
Neues Experiment erlaubt 13-fach genauere Bestimmung der Elektronenmasse als bislang bekannt.
Wären Elektronen nur etwas schwerer oder leichter, sähe die Welt radikal anders aus. Wie aber wiegt man ein Teilchen, das so winzig ist, dass es bis dato als punktförmig gilt? Dieses Kunststück gelang nun einer Kooperation unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg. Sie wog die Masse des Elektrons 13 Mal präziser als bisher bekannt.
Abb.: Eine Waage für absolute Leichtgewichte: In dieser Penningfalle bestimmen Physiker die Masse eines Elektrons. (Bild: S. Sturm, MPIK)
„Normalerweise muss man in der Präzisionsphysik zehn, zwanzig Jahre forschen, um einen fundamentalen Wert um eine Größenordnung zu verbessern“, sagt Klaus Blaum. Mit Freude berichtet der Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg von der „enormen Reaktion“, die das jüngste Resultat auf wissenschaftlichen Tagungen hervorruft. Die extrem große Empfindlichkeit der dazu verwendeten „Waage“ veranschaulicht der Projektleiter Sven Sturm so: „Umgerechnet auf einen Airbus A-380 könnten wir allein durch Wiegen feststellen, ob eine Mücke als blinder Passagier an Bord ist.“
Mit der Elektronenmasse hängt der Wert fundamentaler Naturkonstanten zusammen, wie etwa die Feinstrukturkonstante: Diese bestimmt die Form und die Eigenschaften von Atomen und Molekülen. „Sie beschreibt im Grunde alles, was wir sehen“, sagt Blaum, „denn sie spielt in der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie eine zentrale Rolle.“ Hätte die Natur den Elektronen eine nur etwas andere Masse verpasst, würden die Atome ganz anders aussehen.
Die Masse des Elektrons fließt zudem als eine zentrale Größe in das sogenannte Standardmodell der Physik ein. Wo dessen Grenzen liegen, ist allerdings offen. Daher kann eine präzise Kenntnis der Elektronenmasse bei der Suche nach bisher unbekannten physikalischen Zusammenhängen entscheidend mithelfen.
Um die extrem kleine Masse des Elektrons zu bestimmen, entwickelten die Physiker um Klaus Blaum und Sven Sturm ein ausgeklügeltes Experiment. Grundsätzlich braucht man beim Wiegen eine Referenz zum Vergleich. „Wenn man sich morgens auf die Waage stellt, ist das bei den alten mechanischen Modellen eine Feder“, erklärt Blaum. Beim Elektron standen die Physiker vor dem Problem, dass alle sinnvoll als Referenzgewichte einsetzbaren Elementarteilchen viel schwerer sind. Bei ihrem Experiment entschieden die Physiker sich deshalb für einen Trick. Sie brachten zwar zwei höchst ungleiche Massen zusammen, versuchten aber erst gar nicht, das Kaninchen Elektron mit Hilfe eines atomaren Elefanten direkt zu wiegen.
Abb.: In einer Penningfalle (links) zwingt ein Magnetfeld (schwarzer Pfeil) einen Kohlenstoff-12-Kern mit einen einzigen Elektron läuft auf einen in sich verschraubten Rundkurs (rechts). Aus der Masse des Kohlenstoffions und der Kreiselbewegung des Elektronenspins (schwarze Linie, rechts) ergibt sich die Elektronenmasse. (Bild: S. Sturm, MPIK)
Das Experiment hat Sven Sturm als Blaums Doktorand an der Universität Mainz aufgebaut. „Die Hauptherausforderung war die Entwicklung der Messmethode“, sagt er. Als Postdoktorand leitete er im Anschluss das Team, das die präzise Messung der Elektronenmasse durchführte. Auch Physiker vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz lieferten wichtige Beiträge. Die Physiker paarten dabei ein einzelnes Elektron mit einem nackten Kern des ungleich schwereren Kohlenstoff-12-Isotops. Dieses Kohlenstoffisotop ist mit Bedacht ausgewählt, denn es legt die sogenannte atomare Masseneinheit fest. Damit schließt ihr Einsatz als Referenz eine wichtige Fehlerquelle aus. „Die Kontrolle der systematischen Fehler ist ganz entscheidend“, betont Sturm.
Um den C-12-Kern mit dem einzigen Elektron zu präparieren, schossen die Physiker dem Kohlenstoffatom fünf seiner sechs Elektronen weg. Das übrig gebliebene fünffach ionisierte Kohlenstoffion schickten sie in einer Penningfalle auf eine Kreisbahn. Beim zweiten Schritt, der nun zur Ermittlung der Elektronenmasse nötig war, half die Quantenmechanik. Im starken Magnetfeld einer Penning-Falle vollführt der Elektronenspin eine Präzessionsbewegung. Diese ist zwar extrem schnell, aber die Physiker konnten sie präzise erfassen.
Allerdings gab es in diesem Räderwerk ein bislang nicht allzu gut bekanntes „Zahnrad“. In der Physik ist es als g-Faktor oder gyromagnetischer Faktor bekannt. „Hier war die enge Zusammenarbeit mit Christoph Keitels Theorieabteilung an unserem Institut entscheidend“, erklärt Blaum. Basierend auf vorangegangenen Ergebnissen derselben Kollaboration konnten die Heidelberger Theoretiker um Gruppenleiter Zoltan Harman den g-Faktor genauer als je zuvor berechnen und damit die bis dato höchste Präzision bei der Bestimmung der Elektronenmasse erreichen. Das Ergebnis: Das Elektron wiegt demnach ein 1836,15267377stel der Protonenmasse.
MPIK / DE