Quantenmaterialien maßschneidern
Würzburger Exzellenz-Professur widmet sich der Berechnung von Quantenmaterialien.
Giorgio Sangiovanni ist Experte für das computergestützte Berechnen von Quantenmaterialien. Sein Knowhow ist unerlässlich, damit experimentelle und theoretische Physiker gemeinsam Spitzenforschung betreiben können – wie im Würzburg-Dresdner Exzellenzcluster ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter. Jetzt ist seine Professur für „Computational Quantum Materials“ am Standort Würzburg gestartet. Die Professur wird mit 1,5 Millionen Euro vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert.
Giorgio Sangiovanni fängt meist mit der chemischen Zusammensetzung eines Materials an, wenn seine Kollegen ihn um Hilfe bitten. Er ist internationaler Theorie-Experte. Er nutzt sein Werkzeug, um die außergewöhnlichen Effekte zu berechnen, die ein Werkstoff durch die Wechselwirkung von Elektronen in seinem Inneren zeigen kann. Das macht ihn äußerst beliebt bei experimentellen Physikern, die Quantenmaterialien Atom für Atom im Labor designen.
„Häufig kann ich etwas vorhersagen, das anschließend im Labor bestätigt wird. Manchmal entwickelt sich im Experiment allerdings auch etwas vollkommen Neues, für das ich dann eine Erklärung suche“, erklärt Sangiovanni, der mit Würzburg bereits seit etwa zehn Jahren eng verbunden ist. „So haben wir 2021 Indenen entdeckt – ein sehr robustes topologisches Quantenmaterial aus dem Element Indium mit dreieckiger Kristallstruktur.“ Damals ist er zunächst mit der Idee für ein neues Material auf seine experimentellen Kollegen zugekommen. Die Messresultate im Labor zeigten dann jedoch etwas ganz Überraschendes. Als Sangiovanni die Analyse der unerwarteten Phänomene abgeschlossen hatte, war ein vielversprechender Zukunftswerkstoff geboren: Indenen, mit großem Potenzial für die Produktion nanoelektronischer Bauteile.
„Ich bin Theoretiker durch und durch, liebe die Schönheit der theoretischen Quantenphysik seit der ersten Vorlesung, die ich als Student in Rom besuchte. Doch ich bin jedes Mal neugierig, ob eine theoretische Voraussage den Praxistest besteht. Denn darum geht es ja schlussendlich“, erläutert Sangiovanni seine Motivation. Mit seinem Knowhow verbindet er Theorie und Experiment sowie die Clusterstandorte Würzburg und Dresden.
„Giorgio gehört zu den wenigen Wissenschaftlern weltweit, die mit ihrer Arbeit eine Brücke zwischen theoretischen und experimentellen Physikern bauen – zugleich aber ebenso ganz eigene neue Modelle schaffen“, kommentiert der Würzburger Sprecher des Exzellenzclusters ct.qmat, Ralph Claessen. „Wir freuen uns daher sehr, dass seine große Bedeutung für uns jetzt mit der neuen Exzellenz-Professur verstetigt wurde.“
Für die Entwicklung neuer Modelle schaut sich Sangiovanni Systeme an, die sehr viele wechselwirkende Teilchen haben. Wenn er die Muster in den Bewegungen der Elektronen erforscht, nutzt er unter anderem Anwendungen der künstlichen Intelligenz: „Das ‚Machine Learning‘ hilft, große Datenmengen zu analysieren und Vielteilcheneffekte kompakt darzustellen. So sparen wir für einen bestimmten Teil der Modellentwicklung viel Energie, die wir mit Supercomputern hätten aufwenden müssen“, betont Sangiovanni. Der Wissenschaftler ist immer auf der Suche nach neuen Arten topologischer Quantenmaterialien wie frustrierten Magneten, topologischen Supraleitern oder Kagome-Metallen sowie den Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie sich organisieren. „Irgendwann stecken diese Materialien vielleicht in Quantentechnologien, die neue IT-Systeme energiesparender und leistungsfähiger machen“, sagt er.
Für seine Forschung stehen Giorgio Sangiovanni jetzt 1,5 Millionen Euro und eine eigene Professur zur Verfügung. Seit dem 15. Oktober besetzt er die Professur für „Computational Quantum Materials, die im Rahmen des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg neu eingerichtet wurde. Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst fördert die Exzellenz-Professur im Rahmen der Hightech Agenda Bayern.
Sangiovanni wurde in Rom geboren, hat dort zunächst Horn studiert und dann seine Liebe zur Physik entdeckt. Nach seinem Physik-Studium promovierte er 2005 an der Universität La Sapienza. Bis 2008 arbeitete er als Postdoc am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Anschließend wechselte er als Universitätsassistent an die TU Wien. 2012 kam er als theoretischer Physiker an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und besetzte eine außerordentliche Professur. Giorgio Sangiovanni gehört zu den 25 Gründungsmitgliedern des Exzellenzclusters ct.qmat.
ct.qmat / DE