Quantenverschränkung zeitaufgelöst untersuchen
Atomare Verschränkungsprozesse werden auf der Attosekundenskala beobachtbar.
Die Quantentheorie beschreibt Ereignisse, die in extrem kurzer Zeit ablaufen. Früher hat man solche Ereignisse überhaupt als „instantan“ oder „augenblicklich“ betrachtet: Ein Elektron kreist um den Atomkern – im nächsten Augenblick wird es plötzlich von einem Lichtblitz herausgerissen. Zwei Teilchen stoßen zusammen – im nächsten Augenblick sind sie plötzlich „quantenverschränkt“.
Heute allerdings gibt es Methoden, mit denen man den zeitlichen Ablauf solcher beinahe augenblicklicher Effekte untersuchen kann. An der TU Wien entwickelte man gemeinsam mit Forschungsteams aus China Computersimulationen, mit denen man ultraschnelle Prozesse nachbilden kann. Damit lässt sich auf einer Zeitskala von Attosekunden untersuchen, wie Quantenverschränkung überhaupt entsteht.
Wenn zwei Teilchen quantenverschränkt sind, ergibt es keinen Sinn, sie getrennt voneinander zu beschreiben. Auch wenn man über den Zustand dieses Zwei-Teilchen-Systems perfekt Bescheid weiß, kann man über den Zustand eines einzelnen Teilchens keine eindeutige Aussage treffen. „Man könnte sagen: Die Teilchen haben keine individuellen Eigenschaften, sie haben nur gemeinsame Eigenschaften. Sie gehören mathematisch gesehen fest zusammen, auch wenn sie sich an zwei völlig unterschiedlichen Orten befinden“, erklärt Joachim Burgdörfer vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien.
Wenn man mit verschränkten Quantenteilchen experimentiert, ist man meistens daran interessiert, diese Quantenverschränkung möglichst lange aufrechtzuerhalten – zum Beispiel, wenn man Quantenverschränkung für Quantenkryptographie oder Quantencomputer nutzen möchte. „Uns hingegen interessiert etwas anderes – nämlich wie sich diese Verschränkung anfangs überhaupt entwickelt, und welche physikalischen Effekte dabei auf extrem kurzen Zeitskalen eine Rolle spielen“, sagt Iva Březinová, eine der Autorinnen der aktuellen Publikation.
Dafür betrachtete man Atome, die von einem extrem intensiven und hochfrequenten Laser-Blitz getroffen werden. Ein Elektron wird aus dem Atom herausgerissen und fliegt davon. Wenn die Strahlung stark genug ist, kann es passieren, dass auch noch ein zweites Elektron des Atoms beeinflusst wird: Es kann in einen Zustand mit höherer Energie versetzt werden und den Atomkern danach auf einer anderen Bahn umkreisen.
Danach hat man also ein davonfliegendes Elektron und eines, das mit unbekannter Energie beim Atom verbleibt. „Man kann zeigen, dass diese beiden Elektronen nun quantenverschränkt sind“, sagt Joachim Burgdörfer. „Man kann sie nur gemeinsam verstehen – und man kann an einem der Elektronen eine Messung durchführen und dabei etwas über das andere Elektron erfahren.“
Das Forschungsteam konnte nun zeigen: Durch ein geeignetes Messprotokoll, das zwei verschiedene Laserstrahlen miteinander kombiniert, kann man erreichen, dass der „Geburtszeitpunkt“ des davonfliegenden Elektrons, also der Augenblick, an dem es das Atom verlässt, mit dem Zustand des zurückbleibenden Elektrons zusammenhängt. Diese beiden Eigenschaften sind quantenverschränkt.
„Das bedeutet: Das davonfliegende Elektron weiß sozusagen selbst nicht, zu welchem Zeitpunkt es das Atom verlassen hat“, sagt Joachim Burgdörfer. „Es befindet sich in einer quantenphysikalischen Kombination unterschiedlicher Zustände. Es hat das Atom sowohl zu einem früheren als auch zu einem späteren Zeitpunkt verlassen.“
Welcher Zeitpunkt es nun „wirklich“ war, lässt sich nicht beantworten – die „tatsächliche“ Antwort auf diese Frage gibt es in der Quantenphysik einfach nicht. Aber die Antwort ist quantenphysikalisch mit dem – ebenfalls unbestimmten – Zustand des beim Atom verbliebenen Elektrons verbunden: Befindet sich das verbliebene Elektron in einem Zustand höherer Energie, dann wurde das davonfliegende Elektron eher zu einem frühen Zeitpunkt herausgerissen, doch befindet sich das verbliebene Elektron in einem Zustand niedrigerer Energie, dann war der „Geburtszeitpunkt“ des davonfliegenden freien Elektrons eher später – im Durchschnitt um 232 Attosekunden. „Diese Unterschiede lassen sich aber nicht nur berechnen, sondern auch im Experiment messen“, sagt Joachim Burgdörfer. „Wir sind bereits in Gespräch mit Forschungsteams, die solche ultraschnelle Verschränkungen nachweisen wollen.“
Die Arbeit zeigt, dass es zu kurz greift, Quanteneffekte als „instantan“ zu betrachten: Wichtige Zusammenhänge werden erst dann sichtbar, wenn man es schafft, die ultrakurzen Zeitskalen dieser Effekte aufzulösen. „Das Elektron springt nicht einfach aus dem Atom heraus. Es ist eine Welle, die gewissermaßen aus dem Atom herausschwappt – und das dauert eine gewisse Zeit“, sagt Iva Březinová. „Genau während dieser Phase entsteht die Verschränkung, deren Auswirkung man dann später durch Beobachtung an den beiden Elektronen genau vermessen kann.“
TU Wien / DE