10.07.2009

Quantum Walk statt Random Walk

Die quantenmechanische Entsprechung zum klassischen Irrflug wurde mit einzelnen Atomen in einem Lichtgitter realisiert.

Die quantenmechanische Entsprechung zum klassischen Irrflug wurde mit einzelnen Atomen in einem Lichtgitter realisiert.

Ziellos und unvorhersehbar ist die Brownsche Bewegung mikroskopisch kleiner Teilchen in Flüssigkeiten. Durch ihre Kollisionen mit den Flüssigkeitsmolekülen werden die Teilchen zufällig mal hierhin, mal dahin geschubst. Dabei führen sie einen Irrflug oder Random Walk aus. In dessen einfachster Modellierung bewegt sich ein Teilchen mit konstant großen Schritten auf einer Geraden. Vor jedem Schritt wird eine Münze geworfen um zu entscheiden, ob das Teilchen nach rechts oder nach links geht. Wenn jedoch die Quantenmechanik das Verhalten des Teilchens bestimmt, so können die vielen möglichen Wege, die das Teilchen vom Start- zum Zielpunkt führen, miteinander interferieren. Aus dem Random Walk wird dann ein Quantum Walk, den Forscher jetzt mit Atomen untersucht haben.

Bei ihren Experimenten haben Michal Karski und seine Kollegen von der Universität Bonn einzelne lasergekühlte Cäsiumatome in den Potentialmulden eines eindimensionalen optischen Gitters gefangen. Das Gitter war eine stehende Lichtwelle, hervorgerufen durch zwei einander entgegenlaufende Laserstrahlen, wobei benachbarte Mulden einen Abstand von 433 nm hatten. Optisches Pumpen brachte das Atom in einen bestimmten Hyperfeinzustand |0>, der durch resonante Mikrowellen mit einem weiteren Hyperfeinzustand |1> kohärent gekoppelt wurde. Mit einem richtig bemessenen Mikrowellenpuls konnte das Atom in eine beliebige Überlagerung dieser beiden Zustände gebracht werden. 

 
 

 

Abb.: Das Atom (oben) wird durch den Münzwurf mit nachfolgender Verschiebung delokalisiert (unten): Es ist jetzt an zwei Stellen gleichzeitig. Die Falschfarbenbilder wurden aus jeweils 330 Einzelaufnahmen gewonnen. (Bild: Institut für Angewandte Physik, Universität Bonn)

Den Münzwurf, der über die weitere Bewegung des Atoms entschied, realisierten die Forscher ebenfalls mit Hilfe eines Mikrowellenpulses. Durch ihn änderte sich der Zustand des Atoms von |0> zu |0> – |1> bzw. von |1> zu |0> + |1>. Solange sich das Atom noch in einer kohärenten Überlagerung der beiden Hyperfeinzustände befand, war die Münze eigentlich noch gar nicht gefallen. Das Atom testete gewissermaßen bei jedem Münzwurf beide Möglichkeiten gleichzeitig aus. Allerdings galt das nur, solange noch nicht die Kohärenzzeit von 0,8 ms wesentlich überschritten war.

Nach dem Münzwurf kam der Schritt des Atoms nach rechts oder links. Hier nutzten die Forscher aus, dass die beiden Hyperfeinzustände an die beiden zirkular polarisierten Komponenten der stehenden Lichtwelle unterschiedlich koppelten, also z. B. |0> nur an die rechtsdrehende und |1> nur an die linksdrehende Komponente. Die stehende Lichtwelle wurde durch zwei einander entgegen gerichtete, linear polarisierte Laserstrahlen gebildet. Drehte man mit einem elektrooptischen Modulator die Polarisationsrichtungen der beiden Strahlen gegeneinander, so führte das dazu, dass die rechts- und die linkszirkular polarisierte Komponente der stehenden Welle sich in entgegen gesetzte Richtungen bewegten. Dadurch wurde das Atom, je nach seinem Zustand, in die eine oder andere Richtung verschoben.

Für einen Quantum Walk der Länge N wurden N Münzwürfe und N Einzelschritte abwechselnd durchgeführt. Anschließend regten die Forscher das Atom zur Fluoreszenz an und fanden dadurch heraus, wo es im Lichtgitter saß. Den Quantum Walk und die Messung wiederholten sie so oft, bis sie eine aussagekräftige Verteilung über die Häufigkeiten erhielten, mit denen das Atom zu den verschiedenen Gitterplätzen gelangte. Die Häufigkeitsverteilung hing vom Anfangszustand des Atoms ab. Sie war z. B. für |0>+i|1> symmetrisch um den Startpunkt, für |1> hingegen asymmetrisch. Selbst die symmetrischen Verteilungen hatten keine Ähnlichkeit mit den (Binomial-)Verteilungen, die man für den klassischen Random Walk erhält. Meist lag ihr Maximum nicht bei 0 sondern am Rand der Verteilung. Beim Quantum Walk kehrt ein Atom also nicht so oft zum Ausgangspunkt zurück wie beim Random Walk.

Es gab noch weitere Unterschiede. Während beim Random Walk ein Teilchen nach N Schritten im Mittel N1/2 Schritte von seinem Startpunkt entfernt ist, war das Atom beim Quantum Walk etwa N/2 Schritte voran gekommen. Allerdings änderte sich dieses Verhalten etwa ab N=10, da sich die Ausbreitung des Atoms merklich verlangsamte. Äußere Einflüsse begannen, die Kohärenz zwischen den beiden Hyperfeinzuständen zu zerstören, und das Atom verhielt sich mehr und mehr wie ein klassisches Teilchen. Aus dem Quantum Walk wurde schließlich ein Random Walk. Damit ließ sich der Übergang vom quantenmechanischen zum klassischen Verhalten direkt verfolgen. Quantum Walks könnte man auch für die Quanteninformationsverarbeitung nutzen. So könnte man mit mehreren Atomen, die Quantum Walks durchführen und dabei miteinander wechselwirken, zelluläre Quantenautomaten herstellen.

RAINER SCHARF

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