Schneller sprinten
Biophysikalisches Modell erklärt das maximale Lauftempo von Tieren.
Eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern der Universitäten in Koblenz, Köln, Tübingen und Stuttgart hat ein physikalisches Modell auf Basis einer wissenschaftlichen Studie entwickelt, um zu erforschen, von welchen Eigenschaften die maximale Laufgeschwindigkeit bei Tieren abhängig ist. Dabei konnten Mathematiker der Universität in Koblenz Modellrechnungen am Computer optimieren und berechnen, wie lang zum Beispiel ein Bein sein und in welchem Winkel es zu Boden anstehen müsste, damit das Tier seine maximale Laufgeschwindigkeit erreichen kann. Zudem können sie bestimmen, welche Effekte eine leichte Veränderung der Beinlänge oder des Anstellwinkels, zum Beispiel durch genetische Veränderungen, auf die maximale Laufgeschwindigkeit haben kann.
Viele vierbeinige Säugetiere können erheblich höhere Laufgeschwindigkeiten erreichen als der zweibeinige Mensch. Perfekt an den Sprint angepasste Tiere, wie Geparden oder Antilopen, zeichnen sich durch eine schlanke Körperform, lange Beine sowie eine besonders bewegliche Wirbelsäule aus, um sehr hohe Geschwindigkeiten beim Laufen zu erreichen. Menschliche Spitzensprinter können Laufgeschwindigkeiten von fast 45 Stundenkilometern erreichen. Dies entspricht etwa der Höchstgeschwindigkeit einer Hauskatze. Geparden erreichen etwa 100 Kilometern pro Stunde als Spitzengeschwindigkeit und Antilopen immerhin noch neunzig Kilometern pro Stunde. Selbst Warzenschweine und Hasen würden mit knapp sechzig Kilometern pro Stunde menschliche Sprinter abhängen.
„Wir konnten widerlegen, dass eine Ermüdung der Muskulatur für die Limitierung der Geschwindigkeit bei großen Tieren verantwortlich ist. Dafür haben wir die Energiebereitstellung des Stoffwechsels nachgerechnet bzw. abgeschätzt. Dass große Tiere langsamer sind, liegt also nicht an fehlender Bereitstellung von Energie ihres Organismus, sondern an der Trägheit ihrer eigenen Masse,“ erläutert Robert Rockenfeller von der Universität in Koblenz.
Ein Forschungsteam unter Leitung von Michael Günther von der Universität Stuttgart hat untersucht, von welchen physikalischen und biologischen Faktoren die Höchstgeschwindigkeit der Tiere abhängt. Kern ihrer theoretischen Arbeit sind das physikalische Gleichgewicht von vorwärtstreibender Beinkraft und zu überwindendem Luftwiderstand sowie die Massenträgheit der antreibenden Muskulatur. Dabei zeigen sie eine Art Hauptweg für die Änderung der Bauform von Tierkörpern in Abhängigkeit von der Körpergröße, in Anpassung an schnelle beingetriebene Fortbewegung auf. „Dieser Hauptweg beschreibt, wie sich in Abhängigkeit von der Körpergröße die Gestalt eines Organismus ändern muss, um eine hohe Laufgeschwindigkeit zu erreichen und wie sich diese Gestaltänderung auf die erreichbare Höchstgeschwindigkeit auswirkt“, sagt Tom Weihmann vom Zoologischen Institut der Universität zu Köln.
Das klassische Beispiel sind die Maus und der Elefant. Eine elefantengroße Maus wäre schlicht nicht lebensfähig, weil ihre Knochen unter dem eigenen Gewicht brechen würden. Elefanten haben entsprechend relativ zum Gewicht viel dickere und schwerere Knochen sowie deutlich gestrecktere Beine. Diese ermöglichen die enorme Größe der Tiere. Die schweren Knochen und geraden Beine begrenzen aber die Höchstgeschwindigkeit, die deutlich niedriger ist als die von Geparden, obwohl Elefantenbeine viel länger sind. Die Höchstgeschwindigkeiten hängen aber nicht nur von der Größe, sondern auch von der Konstruktion der Tiere ab, wie zum Beispiel von der Anzahl der Beine und der Beweglichkeit der Wirbelsäule. So sind viele vierbeinige Säugetiere in der Lage, viel höhere Laufgeschwindigkeiten zu erreichen als zweibeinige Entwürfe wie Menschen und Vögel, weil sie galoppieren und dabei ihre Rumpfmuskulatur für den Vortrieb nutzen können. Werden die Tiere zu schwer, helfen allerdings auch kräftigere Muskeln nicht mehr weiter, da größere Muskeln mehr Zeit benötigen, um sich mit höchster Geschwindigkeit zusammen zu ziehen. Entsprechend liegt die Gewichtsgrenze, ab der die Sprintgeschwindigkeiten wieder abnehmen, bei etwa fünfzig Kilogramm, also dem mittleren Gewicht von Geparden und Gabelböcken, den schnellsten Sprintern auf unserem Planeten.
Das Modell lässt sich sogar auf Fantasiewesen anwenden. So würde die Riesenspinne Kankra aus Tolkiens „Herr der Ringe“ eine Spitzengeschwindigkeit von etwa sechzig Kilometern pro Stunde erreichen. Bezogen auf die menschliche Körpergeometrie zeigt das Modell, dass Spitzensprinter im Sport schon sehr nah an ihrem Geschwindigkeitsoptimum sind. Abgesehen von technischen Entwicklungen, wie speziellen Laufschuhen oder Exoskeletten, durch die verlängernde Hebel oder zusätzliche Elastizitäten verfügbar werden können, würden nur längere Beine oder elastischere Sehnen noch höhere Geschwindigkeiten ermöglichen.
U. Koblenz-Landau / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
M. Günther et al.: Rules of nature’s Formula Run: Muscle mechanics during late stance is the key to explaining maximum running speed, J. Theo. Bio. 523, 110714 (2021); DOI: 10.1016/j.jtbi.2021.110714 - Institut für Mathematik (R. Rockenfeller), Universität Koblenz-Landau, Koblenz