Senkrecht verwirbelt
Neue Form der Turbulenz erklärt, warum Öl mit geringer Polymer-Konzentration mit weniger Reibung fließt.
Den chaotische Zustand, den die Wissenschaftler des MPI für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und der Saar-Universität entdeckt haben, bezeichnen sie als elasto-inertiale Turbulenz. Diese tritt beispielsweise in Polymerlösungen auf und folgt einer völlig anderen Choreographie als die gewöhnliche Turbulenz, die ruhige Wasserläufe in wild durcheinander wirbelnde Ströme verwandelt. So kennt die elasto-inertiale Turbulenz keine räumlich begrenzten Wirbelregionen – die chaotischen Verwirbelungen durchsetzen immer die ganze Strömung. Die neuen Erkenntnisse helfen zu verstehen, warum die Zugabe von Polymeren Ölströmungen in Pipelines beruhigt.
Abb.: Bei der elasto-inertialen Turbulenz (links) durchsetzen turbulente Gebiete die gesamte Strömung. Zudem sind sie senkrecht zur Strömungsrichtung, die im Bild vertikal verläuft, orientiert. Bei der „normalen“ Turbulenz (rechts) erstrecken sich die turbulenten Wirbel in Strömungsrichtung. Orange kennzeichnet jeweils Regionen, die in der Strömung verwirbelt, Blau solche, die gestreckt werden. (Bild: Y. Dubief)
In Öl-Pipelines sind Turbulenzen ein Ärgernis. Wenn das Öl bei hohen Fließgeschwindigkeiten beginnt, wie ein Gebirgsbach zu sprudeln und zu gluckern, erhöht dies die Reibung der Strömung dramatisch und damit die Energiemenge, die erforderlich ist, um das Öl durch die Leitung zu pumpen. Die Betreiber solcher Pipelines setzen deshalb auf einen Trick: Sie fügen dem Öl eine winzige Menge sehr langkettiger Polymere wie zum Beispiel Polyacrylamid zu. Die Reibungsverluste lassen sich dadurch um bis zu 80 Prozent verringern. Auch in Heizungs- und Bewässerungssystemen können Polymere für weniger Reibung im Betrieb sorgen.
„Besonders in der Ölindustrie ist die Methode verbreitet“, erklärt Björn Hof, der am MPI-DS und am Institute of Science and Technology Austria forscht. „Trotzdem war bisher noch nicht wirklich verstanden, was genau die Polymere bewirken.“ In ihrer neuen Studie untersuchen die Forscher erstmals systematisch, wie die Molekülketten das Entstehen von Turbulenz in Wasserströmungen beeinflussen.
Dafür ließen sie eine Lösung aus Polyacrylamid und Wasser durch ein 3,6 Meter langes, gerades und durchsichtiges Rohr mit einem Durchmesser von vier Millimetern strömen. In ihren Messungen stießen die Forscher auf eine Überraschung: Wenn sie die Fließgeschwindigkeit von Wasser in einem langen Rohr nach und nach erhöhen, wird zunächst nicht die gesamte Strömung turbulent. Stattdessen entstehen nur stellenweise turbulente Wirbel. Bei steigenden Fließgeschwindigkeiten breitet sich die Turbulenz immer weiter aus.
In Polymerlösungen wird dagegen schlagartig die ganze Strömung turbulent. Zudem erstrecken sich die Wirbel nicht, wie etwa in reinem Wasser, in Strömungsrichtung, sondern senkrecht dazu. „Außerdem zeigen unsere Messungen, dass die Reibungsverluste bei dieser Art der Turbulenz deutlich geringer sind als bei der gewöhnlichen“, sagt Hof. „Bei den höchsten Fließgeschwindigkeiten, die wir im Experiment erreicht haben, konnten wir diese Verluste auf ein Drittel reduzieren“, ergänzt er. Bei höheren Geschwindigkeiten sind noch stärkere Unterschiede zu erwarten.
„All das zeigt uns, dass wir es mit einer völlig anderen Art der Turbulenz zu tun haben“, erklärt Christian Wagner von der Universität des Saarlandes. Zusammen mit seinem Team hat der Physiker die Polymerlösungen vor und nach den Experimenten genau charakterisiert. Da der neue Zustand nur in Flüssigkeiten auftritt, in denen elastische Phänomene und Trägheitskräfte eine Rolle spielen, sprechen die Forscher von elasto-inertialer Turbulenz. Bei Polymerkonzentrationen von mehr als zwei Gramm Polyacrylamid auf einen Liter Wasser erfolgt der Übergang von der ruhigen Strömung zur elasto-inertial-turbulenten bei deutlich geringeren Fließgeschwindigkeiten, als der von der ruhigen zur „normalen“ turbulenten Strömung in Wasser.
Bei stärker verdünnten Lösungen, wie sie etwa in der Ölindustrie eingesetzt werden, tritt Turbulenz dagegen erst bei höheren Fließgeschwindigkeiten auf als bei reinem Wasser oder Öl. Allerdings entsteht dort zunächst stellenweise die normale Turbulenz, wird jedoch bei steigender Geschwindigkeit von der elasto-inertialen Verwirbelung verdrängt, die dann sofort die ganze Strömung ergreift. „Dieser Wechsel von einer Art der Turbulenz zur anderen ist bislang übersehen worden“, sagt Hof.
In früheren Experimenten hatten die Wissenschaftler mit ihrem Versuchsaufbau bewiesen, dass in reinem Wasser die Wirbel nach extrem langen Zeiten plötzlich zerfallen und sich die Strömung wieder beruhigt. Die Wirbel der elasto-inertialen Turbulenz verschwinden dagegen im Schnitt schneller. „Unser Experiment zeigt deutlich, dass die Zugabe von Polymeren den Übergang von einer ruhigen zu einer turbulenten Strömung herauszögert“, erläutert Hof. Da die langkettigen Polymermoleküle elastisch sind, können sie die inneren Bewegungen der Strömung abfedern.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass der Durchmesser des verwendeten Rohres entscheidend ist. Bei kleinen, eventuell sogar mikroskopischen Durchmessern tritt elasto-inertiale Turbulenz schon früh auf und dürfte somit für Anwendungen in der Mikrofluidik eine wichtige Rolle spielen.
MPIDS / AH