Theorie stützt Hypothese vom „Dunklen Kanal“
Röntgenphotonen „verschwinden“ und können doch helfen, die Chemie des Lebens besser zu verstehen.
Chemische Prozesse in Organismen aber auch in anorganischen „nassen“ Systemen wie Katalysatoren sind höchst komplex und viele sind bisher nur sehr grob verstanden. Denn es ist überaus schwierig, experimentell zu verfolgen, wie Atome oder Moleküle in Lösung miteinander reagieren. Bisher konnten Forscher mit spektroskopischen Verfahren nur eine Überlagerung aller Wechselwirkungen beobachten, nicht jedoch einzelne Bindungsvorgänge unterscheiden. Das könnte sich durch eine Arbeit von Forschern um Emad Flear Aziz am Helmholtz Zentrum Berlin (HZB) und theoretischen Physikern der Universität Rostock nun ändern.
Abb.: Diese Fließzelle ermöglicht es, biologische Proben in ihrer natürlichen, wässrigen Umgebung mit Röntgenstrahlung zu untersuchen. (Bild: U. Rostock)
„Im Grunde beobachten wir, wie Atome und Moleküle in Lösung miteinander wechselwirken“, erklärt Emad Flear Aziz, Helmholtz-Nachwuchsgruppenleiter und Professor an der Freien Universität Berlin. Seine jetzt veröffentlichte Arbeit basiert auf einer Entdeckung, mit der Aziz bereits 2010 eine große Debatte ausgelöst hatte: Bei röntgenspektroskopischen Untersuchungen an BESSY II fand er in seinen Proben eine Art „Dunklen Kanal“, in dem Photonen bestimmter Energie verschwanden. Diese Ergebnisse, die von anderen Teams weltweit reproduziert werden konnten, könnten Aufschluss über einzelne Bindungsvorgänge geben, vermutete Aziz bereits damals.
Nun kann er seine Vermutung untermauern. Oliver Kühn und Postdoktorand Sergey Bokarev von der Universität Rostock berechneten die Energieniveaus der möglichen Bindungsprozesse und stellten damit ein Werkzeug zur Verfügung, um die experimentellen Daten zu interpretieren. Auch das Team von Aziz schärfte das experimentelle Verfahren weiter und entwickelte einen neuen Ansatz für die hochauflösende Röntgenspektroskopie. „Wir können nun alle elektronischen Zustände im System, das wir messen, einzeln zuordnen und diejenigen, die mit ihren Nachbarn Bindungen eingehen, von jenen unterscheiden, die es nicht tun“, erklärt Aziz.
Das neue Verfahren ähnelt damit einem Hörgerät, mit dem man im Partylärm gezielt einzelnen Gesprächen zuhören kann, statt nur ein Durcheinander von Stimmen wahrzunehmen. Die Forscher sind überzeugt, dass ihre Arbeit dazu beitragen wird, die Chemie des Lebens besser zu verstehen.
HZB / PH