Turbulenzen am Rande der Lichtgeschwindigkeit
Neues Modell erlaubt erstmals Berechnung relativistischer turbulenter Prozesse in der Astrophysik.
Aufbauend auf den Navier-Stokes-Gleichungen entwickelte der russische Mathematiker Andrey Kolmogorov während des Zweiten Weltkriegs die bis heute gültige statistische Theorie für Turbulenzen. Eine fundamentale mathematische Theorie dafür fehlt jedoch bis heute. Die „Analyse von Existenz und Regularität von Lösungen der dreidimensionalen inkompressiblen Navier-Stokes-Gleichungen“ steht daher auf der Liste ungelöster mathematischer Probleme, für deren Lösung das Clay Mathematics Institute in Cambridge, Massachusetts, im Jahr 2000 ein Preisgeld von einer Million US-Dollar ausgelobt hat.
Abb.: Diese Momentaufnahme der Simulation einer stimulierten Turbulenz in einem heißen Plasma zeigt die Energiedichte. Die hellen Regionen haben größte Energie und Temperatur. (Bild: D. Radice & L. Rezzolla, AEI)
„Mit unseren Berechnungen haben wir das Problem zwar nicht gelöst, aber wir zeigen, dass und wie die bisher gültige Theorie modifiziert werden muss. Damit kommen wir einer grundlegenden Theorie zur Beschreibung von Turbulenzen einen wichtigen Schritt näher“, sagt Luciano Rezzolla vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut AEI) über eine nun veröffentlichte Arbeit.
Rezzolla, der am AEI die Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie leitet und sein Kollege David Radice untersuchten Turbulenzen in sehr starken Gravitationsfeldern, etwa in der Umgebung eines schwarzen Lochs oder bei extrem hohen Energien; in beiden Fällen bewegen sich Teilchen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit. Die Forscher verwendeten ein virtuelles Labor, in dem sie diese Situationen unter Berücksichtigung relativistischer Effekte simulierten. Die entsprechenden nicht-linearen Differentialgleichungen der relativistischen Hydrodynamik wurden auf den Großrechnern des AEI und des Rechenzentrums in Garching gelöst.
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass Kolmogorovs Gesetz für relativistische Phänomene modifiziert werden muss, denn wir beobachten Abweichungen und neue Effekte“, sagt Rezzolla. „Interessanterweise scheint jedoch die wichtigste Aussage des Gesetzes Gültigkeit zu behalten.“ Dieses minus-5/3-Kolmogorov-Gesetz beschreibt, wie große Wirbel die Energie eines Systems auf kleine Wirbel übertragen.
Mit ihrer Arbeit wollen die Wissenschaftler auch dabei helfen, ein übergreifendes Modell zu formulieren. „Den ersten Schritt haben wir nun getan“, so Luciano Rezzolla, „wir werden die Computercodes verbessern, um weitere Erkenntnisse zu einer grundlegenden Theorie der Turbulenzen zu gewinnen.“
MPG / PH