Überraschend kalte Scheibe um jungen Stern
Staub ist möglicherweise komplexer als vermutet – und das hat Konsequenzen für die Entstehung von Planeten.
Die protoplanetare Scheibe mit dem Spitznamen „fliegende Untertasse“ in der vierhundert Lichtjahre entfernten Rho-Ophiuchus-Sternentstehungsregion sieht nicht nur auf astronomischen Bildern ungewöhnlich aus. Als Astronomen das Objekt mit dem Teleskopverbund ALMA beobachteten, schien es auf den ersten Blick eine widersinnige Eigenschaft zu haben: Die Messungen ergaben eine negative Menge an ausgesandter Strahlung. Die Absurdität dieser Aussage löst sich allerdings in Wohlgefallen auf, sobald man die Details des ALMA-Messprozesses berücksichtigt. Dahinter steckt trotzdem eine reale unerwartete Eigenschaft: Entgegen der Erwartungen ist der Staub in dieser Scheibe kälter als die direkt dahinterliegenden Molekülwolken.
Abb.: Die Rho-Ophiuchus-Sternentstehungsregion, 400 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das kleine Bild zeigt eine Infrarotaufnahme der protoplanetaren Scheibe mit dem Spitznamen „fliegende Untertasse“, aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble. Jüngste Beobachtungen haben gezeigt, dass der Staub in dieser Scheibe unerwartet kalt ist. (Bild: DSS2/ESO/NASA/ESA)
Und das ist sehr ungewöhnlich, denn solche Scheiben werden von ihrem Zentralstern aufgewärmt. Ist ihr Staub trotzdem derart kalt, bloße sieben Grad über dem absoluten Nullpunkt, dann muss er einigermaßen ungewöhnliche Eigenschaften aufweisen. Als Stephane Guilloteau von der Universität Bordeaux und Thomas Henning vom MPI für Astronomie diese Beobachtungen vorgeschlagen hatten, war die Messung der Temperatur der Staubscheibe zwar ihr Ziel – aber mit derart niedrigen Temperaturen hatten sie nicht gerechnet.
Die üblichen Modelle gehen davon aus, dass die Staubkörner kompakt und kugelförmig sind. Aber eine Scheibe aus solchen Staubkörnern, die einen sonnenähnlichen Stern umgibt, würde nie auf so niedrige Temperaturen kommen. Die gemessene tiefe Temperatur weist auf kompliziertere Verhältnisse hin. Die Staubkörner könnten kompakt sein, aber nicht rund – es könnte sich beispielsweise um längliche Körner handeln, oder um poröse Zusammenschlüsse aus kleineren kompakten Körnern. Alternativ könnten die Zentralregionen der fliegenden Untertasse ungewöhnlich große Staubkörner enthalten, die eine andere Temperatur aufweisen als das sie umgebende Gas und sehr kalt bleiben.
Anhand der vorliegenden Daten lässt sich nicht entscheiden, welche der möglichen Erklärungen zutrifft. Entsprechende weitere Beobachtungen sind geplant – nicht zuletzt, weil von den Staubeigenschaften einiges abhängt. Protoplanetare Scheiben wie diese sind die Geburtsstätten von Planeten, und die Staubeigenschaften spielen in diesem Zusammenhang gleich mehrere wichtige Rollen. Zum einen ist die Verklumpung solcher Staubteilchen der erste Schritt der Planetenentstehung. Die dabei entstehenden Konglomerate verklumpen immer weiter, haben schließlich so viel Masse, dass die Schwerkraft eine wichtige Rolle spielt, Schritt für Schritt entstehen so durch Verklumpungen auf immer größeren Skalen Planeten. Außerdem sind die Oberflächen der Staubkörner so etwas wie Miniatur-Laboratorien. Sie bieten die richtigen Voraussetzungen für chemische Reaktionen, bei denen sich selbst kompliziertere organische Verbindungen bilden können. Das wiederum könnte wichtig dafür sein, ob auf einem der neu gebildeten Planeten am Ende Leben entstehen kann oder nicht.
Und schließlich nutzt eine verbreitete Methode, die Gesamtmasse protoplanetarer Scheiben zu bestimmen, Messungen der vom Staub ausgesandten Strahlung. Dadurch wird die Menge an Staub abgeschätzt und daraus wiederum über einen Umrechnungsfaktor auf die weit größere Masse in Form molekularen Gases geschlossen. Auch diese Umrechnung könnte sich ändern, wenn der Staub einer Scheibe ungewöhnliche Eigenschaften hat – mit Konsequenzen für die Abschätzung der Scheibenmasse und damit auch davon, was für Planeten sich aus der betreffenden Scheibe bilden können. Daher gilt: Wer sich für Planetenentstehung interessiert, sollte sich tunlichst mit dem in protoplanetaren Scheiben vorhandenen Staub auskennen. Die fliegende Untertasse zeigt, dass dieser Staub zumindest in einigen Fällen deutlich weniger einfach sein dürfte, als oft angenommen wird.
MPIA / RK