19.07.2017

Unrunde Sternentstehung

Asymmetrische Gasströme beginnen außerhalb der Scheibe um einen jungen Stern.

Zum ersten Mal hat ein internationales Team von Astronomen unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extra­terrestrische Physik (MPE) einen molekularen Ausfluss beobachtet, der außerhalb der Scheibe um einen jungen Stern startet. Gas­ausflüsse entfernen überschüssigen Drehimpuls aus dem System, und es wurde vorgeschlagen, dass diese Winde aus einer breiten Region in der proto­planetaren Scheibe starten sollten. Die jüngsten Beobachtungen zeigen nun, dass die Ausflüsse asymmetrisch sind und außerhalb des Randes der Scheibe starten, an der Position, an der einfallendes Material auftrifft.

Abb.: CO-Moleküllinien, einer Aufnahme der Staubemission überlagert. Das Bild auf der linken Seite zeigt Material, das sich auf uns zubewegt (blauer Flügel), während das Bild rechts die Bewegung von uns weg zeigt (roter Flügel). (Bild: MPE)

Ein lange bekanntes Problem bei der Stern­entstehung besteht darin, den Überschuss an Drehimpuls loszuwerden, der durch das einfallende Material in die molekulare Wolke eingebracht wird, in der ein junger Stern geboren wird. Im klassischen Bild wird der Drehimpuls sowohl durch einen stellaren Wind nahe des neu gebildeten Sterns als auch durch einen Scheibenwind aus einer weiten Region in der proto­planetaren Scheibe aus dem System entfernt. Die genaue Position, von der aus solche Scheiben­winde gestartet werden, ist jedoch unbekannt.

Junge Stellare Objekte (YSOs, young stellar objects) mit niedrigen Massen, die Vorläufer von sonnen­ähnlichen Sternen, haben eine prominente Scheibe rund um den Protostern, die wiederum von einer dünnen Hülle umgeben ist. Die Struktur und die Kinematik der Umgebung solcher jungen Sterne können durch Radio­strahlung untersucht werden, da der Staub in Scheibe und Hülle in diesem Bereich thermische Strahlung aussendet und Rotations­übergänge einiger einfacher Moleküle, wie zum Beispiel CO, Rück­schlüsse auf die Bewegung des molekularen Gases zulassen. Ein internationales Team von Astronomen, angeführt vom Max-Planck-Institut für extra­terrestrische Physik (MPE), nutzte nun das ALMA-Radio­teleskop, um das in den dichten Kern Barnard 59 im Pfeifen­nebel eingebettete junge Stern­objekt BHB07-11 zu untersuchen.

„Unsere Messung der Kontinuumsemission zeigen einen noch nie da gewesenen Blick auf die Staub­verteilung rund um den jungen Stern“, betont Felipe O. Alves von MPE, Hauptautor der zugehörigen Veröffentlichung. „Wir konnten einen erhöhten Helligkeits­kontrast zwischen der Scheibe rund um dem Stern und dem umliegenden dünnen Material erreichen – wir sehen sogar Spiral­strukturen.“

Noch eindrucksvoller sind jedoch die Beobachtungen der Molekül­linien: Sie zeigen einen bipolaren Ausfluss, der an symmetrischen Positionen in Bezug auf die Scheibe in ziemlich großer Entfernung vom Zentrum gestartet wird. Dies ist das erste Mal, dass Forscher das Ausfluss­material beobachten, das nicht von der Scheibe selbst abfließt, sondern außerhalb von deren Rand.

Der große Abstand der Startposition fällt mit dem Auftreff­punkt des einfallenden Materials aus der umgebenden Wolke zusammen, das mittels der Spektral­linien von Formal­dehyd identifiziert werden konnte. „Moleküle sind wertvolle Werkzeuge, um selektiv verschiedene Bereiche der komplexen Regionen, in denen sonnen­ähnliche Sterne geboren werden, zu untersuchen. Sie enthüllen wichtige physikalische Prozesse“, sagt Paola Caselli, Koautorin der wissenschaftlichen Veröffentlichung.

Modelle sagen voraus, dass die Magnetfeldlinien am Auftreff­punkt stark zusammen­gezogen werden, da sie vom einfallenden Gas aus der inneren Hülle „mitgeschleppt“ werden. Das daraus resultierende erhöhte Magnetfeld ermöglicht Ausflüsse, die in einem schmalen Bereich außerhalb des Scheibenrandes effizient durch einen kombinierten magnetisch-zentrifugalen Mechanismus ausgestoßen werden.

Die enge Verbindung zwischen dem ein- und ausströmenden Gas wird auch durch die Asymmetrie unterstützt, die in beiden Beobachtungen nachgewiesen wurde. „Die hoch­auflösenden Daten erlauben es uns, einen scharfen Übergang in der Gas­kinematik der Spiralstruktur zu identifizieren. Dieser bezeichnet die Lage der sogenannten Zentrifugal­barriere, an der das Gas in der Scheibe landet und nur eine Rotations­bewegung übrig bleibt“, sagt Alves. Dieser Auftreffpunkt des einfallenden Gases auf die Scheibe ist asymmetrisch; daher sollten auch die bipolaren Abflüsse asymmetrisch sein – im Gegensatz zum klassischen Bild eines Scheiben­windes.

MPE / DE

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