Verschmelzende Neutronensterne
Wie kosmische Ereignisse Einblick in grundlegende Eigenschaften der Materie geben.
Seitdem es möglich ist, Gravitationswellen von zwei miteinander verschmelzenden Neutronensternen zu messen, bietet sich die Chance, einige grundlegende Fragen zur Struktur der Materie zu beantworten. Denn bei den extrem hohen Temperaturen und Dichten solcher Ereignisse vermuten Forscher einen Phasenübergang, bei dem die Neutronen in ihre Bausteine, die Quarks und Gluonen, zerfallen. Zwei internationale Forschergruppen berichten jetzt über Berechnungen, wie die Signatur eines solchen Phasenübergangs in einer Gravitationswelle aussehen würde.
Quarks hat man in der Natur noch nie isoliert beobachtet. Sie sind vielmehr immer in Protonen und Neutronen gebunden. Ein Neutronenstern jedoch besitzt einen so dichten Kern, dass ein Übergang von Neutronenmaterie zu Quarkmaterie auftreten könnte. Insbesondere ist ein solcher Phasenübergang möglich, wenn kollidierende Neutronensterne ein metastabiles Objekt mit Dichten bilden, die weit höher sein können als in Kernmaterie, und Temperaturen, die zehntausend Mal höher sind als im Inneren unserer Sonne.
Nachricht von möglichen Phasenübergängen im Weltall könnten wir durch die Messung von Gravitationswellen erhalten, die von den verschmelzenden Neutronensternen ausgesendet werden. Der Phasenübergang müsste im Gravitationswellensignal eine charakteristische Signatur hinterlassen. Wie diese aussehen könnte, haben die beiden Forschergruppen mithilfe moderner Supercomputer berechnet. Dazu verwendeten sie unterschiedliche theoretische Modelle für den Phasenübergang.
Findet ein Phasenübergang erst etwas nach der tatsächlichen Verschmelzung statt, tauchen geringe Mengen von Quarks allmählich überall im verschmolzenen Objekt auf. „Zum ersten Mal konnten wir mithilfe der Einstein-Gleichungen zeigen, dass diese kleine Änderung in der Struktur eine Abweichung im Gravitationswellensignal erzeugt, bis der neugebildete riesige Neutronenstern unter seinem eigenen Gewicht zu einem schwarzen Loch kollabiert“, erklärt Luciano Rezzolla von der Uni Frankfurt.
In den Computermodellen von Andreas Bauswein vom GSI Helmholzzentrum für Schwerionenforschung tritt der Phasenübergang bereits direkt nach der Kollision auf – es bildet sich ein Kern von Quarkmaterie im Inneren des Zentralobjekts. „Wir konnten zeigen, dass es in diesem Fall eine deutliche Veränderung in der Frequenz des Gravitationswellensignals gibt“, sagt Bauswein. „Damit haben wir für die Zukunft ein messbares Kriterium für einen Phasenübergang in verschmelzenden Neutronensternen identifiziert.“
Noch sind nicht alle Details des Gravitationswellensignals mit den bestehenden Detektoren messbar. Sie werden aber mit der nächsten Generation von Messgeräten beobachtbar sein – oder auch, falls ein relativ nahes Verschmelzungsereignis stattfindet. Einen komplementären Ansatz zur Beantwortung der Fragen über Quarkmaterie bieten zwei Experimente: Am existierenden Messaufbau HADES beim GSI und am zukünftigen CBM-Detektor an der Facility for Antiproton and Ion Research, die gerade am GSI errichtet wird, kann durch den Zusammenprall von Schwerionen komprimierte Kernmaterie entstehen. Dabei könnte es gelingen, Temperaturen und Dichten zu erzeugen, die vergleichbar mit den Zuständen in verschmelzenden Neutronensternen sind. Beide Methoden ermöglichen neue Einblicke in das Auftreten von Phasenübergängen in Kernmaterie und so auch in ihre grundlegenden Eigenschaften.
GSI / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
E. R. Most et al.: Signatures of Quark-Hadron Phase Transitions in General-Relativistic Neutron-Star Mergers, Phys. Rev. Lett. 122, 061101 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.061101
A. Bauswein et al.: Identifying a First-Order Phase Transition in Neutron-Star Mergers through Gravitational Waves, Phys. Rev. Lett. 122, 061102 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.061102 - Theory Department, GSI Helmholzzentrum für Schwerionenforschung, Darmstadt
- AG Rezzolla, Institut für theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt am Main