19.05.2014

Zuchtstationen für Sterne

Submillimeter-Kartierung der Milchstraße zeigt rasante Entwicklungsstätten für schwere Sterne.

ATLASGAL ist eine Kartierung der galaktischen Ebene bei 0,87 Millimeter Wellenlänge. Sie liefert eine bisher nie dagewesene Anzahl von kalten dichten Klumpen von Gas und Staub, den Geburtsstätten für die Entstehung massereicher Sterne, und ermöglicht so einen kompletten statistischen Überblick der Entstehung dieser Sterne in unserer Milchstraße.
Aufbauend auf dieser Statistik hat ein internationales Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Timea Csengeri vom Bonner MPIfR die Zeitskala für die Entstehung von Sternen in diesem Umfeld abgeschätzt. Mit durchschnittlich nur 75.000 Jahren Zeitdauer bilden sich massereiche Sterne in wesentlich kürzerer Zeit als masseärmere Sterne.

Abb.: Teilbereich von ATLASGAL in Richtung des Sternbilds Schütze (Bild: ATLASGAL-Team)

Sterne mit wesentlich größerer Masse als unserer Sonne beenden ihr kurzes und heftiges Leben in gewaltigen Supernova-Explosionen, in denen sie die schweren Elemente in unserem Universum produzieren. Während dieses Lebens senden sie kräftige Sternwinde und hochenergetische Strahlung aus, durch die einerseits ihre lokale Umgebung beeinflusst wird, die andererseits aber auch einen starken Einfluss auf das Erscheinungsbild und die künftige Entwicklung ihrer Muttergalaxie haben. Solche Sterne bilden sich in den dichtesten und kältesten Gebieten in der Milchstraße tief im Inneren von Staubhüllen, die so dicht sind, dass sie die Strahlung von darin enthaltenen jungen Sternen nahezu komplett absorbieren. Eingebunden in dichte Gas- und Staubhüllen mit abgeschirmter Strahlung in optischen und Infrarotwellenlängen entsteht dort eine neue Generation von massereichen Sternen.

Aus diesem Grund bleiben die frühesten Stadien der Sternentstehung in direkter Strahlung bei kürzeren Wellenlängen verborgen und die Beobachtung bei längeren Wellenlängen ist für ihre Untersuchung erforderlich. Die ATLASGAL-Kartierung erfasst Strahlung bei Submillimeter-Wellenlängen, die von der Strahlung des kalten Staubs dominiert wird. Sie ermöglicht einen detaillierten Blick auf die Geburtsstätten einer neuen Generation von massereichen Sternen.

Ein internationales Team von Astronomen nutzte hierzu das APEX-Teleskop zusammen mit der am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) gebauten Submillimeter-Kamera LABOCA. ATLASGAL, der „APEX Telescope Large Area Survey of the Galaxy“, deckt einen Bereich von mehr als 420 Quadratgrad in der galaktischen Ebene und damit 97 Prozent der inneren Milchstraße innerhalb des sogenannten solaren Zirkels ab. Darin sind große Bereiche von allen vier Spiralarmen der Milchstraße enthalten und zirka zwei Drittel des kompletten molekularen Anteils der Milchstraße. Der ATLASGAL-Datensatz enthält damit den überwiegenden Anteil aller Kinderstuben für die Entstehung von massereichen Sternen in unserer Milchstraße; mit seiner Hilfe wird es auch möglich sein, eine dreidimensionale Karte der Milchstraße zu erstellen.

Abb.: APEX und der Nachthimmel über Chile (Bild: ESO, Y. Beletsky, C. Urquhart)

Da die staubigen Ecken in unserer Milchstraße nur sehr schwer individuell zu erfassen sind, bieten Kartierungen wie ATLASGAL eine phantastische Möglichkeit, auf großer Skala nach den Geburtsstätten der massereichsten Sterne in unserer Milchstraße zu suchen. „Unser Forscherteam hat aus den ATLASGAL-Daten die umfassendste Stichprobe der bisher versteckten Geburtsstätten von massereichen Sternen erstellt“, sagt Timea Csengeri vom MPIfR, die Erstautorin der neuen Studie. „Wir haben eine ganze Reihe von neuen potentiellen Standorten gefunden, in denen solche Sterne sich im Moment noch in unserer Milchstraße bilden.“

Mit diesem umfassenden statistischen Datensatz konnten die Forscher zeigen, dass die Prozesse zum Aufbau der kalten dichten Wolken, in denen die massereichsten Sterne entstehen, außerordentlich schnell ablaufen müssen, und zwar in einem Zeitraum von nur 75.000 Jahren. Das ist wesentlich kürzer als die entsprechenden Zeitskalen bei der Entstehung von masseärmeren Sternen wie z.B. unserer Sonne. Es ist der erste umfassende Hinweis darauf, dass die Sternentstehung in unserer Milchstraße einen sehr schnell ablaufenden Vorgang darstellt.

„Wir haben unsere Stichprobe nach Signaturen dafür ausgesucht, wie sich massereiche Sterne in ihrem Inneren bilden können“", sagt James Urquhart vom MPIfR. „Das kurze und heftige Leben der massereichsten Sterne in unserer Milchstraße war schon vorher bekannt. Aber nun konnten wir zeigen, dass es auch von einer entsprechend kurzen Entstehungsphase innerhalb ihrer Geburtshüllen eingeläutet wird.“

„Nur Teleskope an außergewöhnlichen Standorten wie der extrem hochgelegenen und trockenen Chajnantor-Ebene auf 5100 m in Chile sind in der Lage, Beobachtungen bei derart hohen Frequenzen im Submillimeter-Bereich durchzuführen", fügt Frederic Schuller von der Europäischen Südsternwarte hinzu. „Das ist der umfassendste Ausschnitt des Himmels überhaupt, der bisher in Submillimeter-Wellenlängen beobachtet wurde.“

„ATLASGAL liefert auch Aufsuchkarten mit Daten für die extremsten Staubhüllen, in denen die im Inneren ablaufenden Prozesse der Sternentstehung bei wesentlich höherer Winkelauflösung mit dem neuen ALMA-Teleskopnetzwerk untersucht werden können, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu APEX auf der Chajnantor-Ebene befindet“, schließt Friedrich Wyrowski, APEX-Projektwissenschaftler am MPIfR.

MPIfR / DE

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