Die Bewegungen von Sonne, Erde und Mond lassen sich mit einfachen Basteleien auch in der Grundschule vermitteln. (vgl. S. 26, Bild: Science on Stage)
Physik Journal 7 / 2013
Meinung
Inhaltsverzeichnis
Aktuell
Leserbriefe
Kontroverse um den Karlruher Physikkurs geht weiter
Zu: „Eine entscheidende Klarstellung“ von Rudolf Lehn und „Kontroverse um Karlsruher Physikkurs“ von Stefan Jorda, Physik Journal, Mai 2013, S. 3 bzw. 6.
- K. Lüders: Sachliche Diskussion statt Streit - A. Ziegler: Mangelnde Kommunikation - W. Philipp: Anhaltende Streitpunkte - P. Bronner: Keine didaktische Zensur - U. Backhaus:Verfehltes Gutachten - T. Strohm: Vor- und Nachteile des KPK - O. Rang: Fehlende Ausgewogenheit - W. Schich: Anschlussfähigkeit unerlässlich - M. Otto: Bedenklicher Dogmatismus - A. Piel, M. Bauer, R. Berndt, M. Bonitz, W. Duschl, F. Faupel, S. Heinze, H. Kersten, H. Magnussen, E. Pehlke, E. Quandt, C. Selhuber-Unkel, R. Wimmer-Schweingruber und S. Wolf: Standards wahren - W. Stößel: Absurde Argumente - H. Hauptmann: KPK steht im Wettbewerb - P. Schmälzle: Einzelne Begriffe hinterfragen - U. Harten: „Altlast“ KPK - C. Scherlenzky: Sofort abqualifiziert - Mit Erwiderung der Gutachter
High-Tech
Im Brennpunkt
Kondensate auf Knopfdruck
Elektrisch gepumpte Kondensate aus Exziton-Polaritonen besitzen erhebliches Anwendungspotenzial.
Forum
Spielkinder und Showtalente
Das Festival „Science on Stage“ fand vom 25. bis 28. April in Frankfurt/Oder und Slubice statt.
Das muss für manche Schüler der Alptraum sein: ein ganzes Gebäude voller Paukerinnen und Pauker, ausschließlich der oft so ungeliebten Fächer wie Physik, Mathe oder Chemie. Mehr als 350 Lehrkräfte aus 24 europäischen Ländern und Kanada trafen sich Ende April in Frankfurt/Oder und in der polnischen Kleinstadt Slubice, direkt am anderen Oder-Ufer gelegen. Anlass war das „Science on Stage“-Festival. Über vier Tage tauschten sich die Teilnehmer mit ihren Kollegen aus, an Ständen, bei Vorträgen, in Workshops und nicht zuletzt auf der Bühne.
Anno 2000 ging die Vorgängerveranstaltung dieses Festivals über die Bühne, damals noch unter dem Namen „Physics on Stage“, initiiert vom CERN, der ESA und der ESO. Anlass war der Mangel an naturwissenschaftlichem Nachwuchs. Der „PISA-Schock“ im Jahr 2001 verstärkte die Sorge um die Qualität des Physikunterrichts. Die Europäische Kommission unterstützte die Initiative über das 5. Forschungsrahmenprogramm. Nach Ende der europäischen Förderung wurde die Initiative 2005 unter dem Namen „Science on Stage“ fortgeführt und bezog nun alle Naturwissenschaften mit ein. Das Angebot findet große Resonanz. Mittlerweile erreicht das Netzwerk über 40 000 Lehrerinnen und Lehrer in 26 Ländern.
Das Festival lässt sich wohl am besten als Jahrmarkt der Ideen bezeichnen, hier ist dieser Ausdruck einmal nicht überstrapaziert. Wer durch die wuseligen Flure, Säle und Foyers des Collegium Polonicum schlendert, sieht sich mit einer bunten Fülle an Projekten für den naturwissenschaftlichen Unterricht konfrontiert, voller kreativer Improvisation und witziger Ideen. Etwa bei einem Stand der britischen Delegation: Dort dreht sich alles nur ums Geld, allerdings für rein didaktische Zwecke – egal ob in Münz-, Schein- oder sogar Kartenform. Die Oberflächenspannung von Wasser lässt sich ganz einfach demonstrieren: Einfach ein Glas bis zum Rand mit Wasser füllen, eine EC-Karte zur Hälfte auf der Wasseroberfläche positionieren und so lange Münzen auf die überhängende Hälfte stapeln, bis die Karte herunterfällt. Zum Einsatz kommen Yen-Münzen, die ziemlich genau ein Gramm wiegen, sodass sich die Oberflächenspannung sogar grob messen lässt.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich diesmal unter dem Motto „Crossing Borders in Science Teaching“ treffen, haben sich in nationalen Vorauswahlen für das alle zwei Jahre stattfindende, europäische Festival qualifiziert – erstmals sind mit Deutschland und Polen zwei Länder Ausrichter. Die Motivation umschreibt Jacek Witko, der Vizekanzler der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznan, bei der Eröffnungsfeier: „Es ist notwendig, dass die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm herauskommt, am besten mit einer Mischung aus Spaß und seriöser Forschung.“ ...
Überblick
Fließen, Scheren, Schmelzen
In dichten Flüssigkeiten treten faszinierende nichtlineare Phänomene auf wie die Scherverdünnung.
Hat die Alltagsphysik von Küche bis Kosmetika etwas mit der Festigkeit von Bauwerken zu tun? Die Frage, wie zäher Ketchup fließt oder wie gegossene Bauteile unter Belastung nachgeben, beinhaltet verwandte und äußerst vielfältige nichtlineare Einflüsse externer Felder auf die Dynamik. Dabei tritt unabhängig vom spezifischen System häufig ein generisches Verhalten auf, das sich mit Methoden der statistischen Physik im Nichtgleichgewicht erklären lässt. Diese Methoden erlauben es zum Beispiel, einige vor über hundert Jahren empirisch formulierte Gesetzmäßigkeiten in diesem Forschungsgebiet zwischen Materialforschung und Grundlagenphysik zu begründen.
Das Streichen einer Wand basiert, neben Fragen der Chemie und der Ästhetik, auf grundlegenden nichtlinearen physikalischen Phänomenen. Im Behälter noch eine relativ zähflüssige Masse, lässt sich Dispersionsfarbe doch bemerkenswert leicht streichen − sie wird während des Prozesses wesentlich weniger viskos. Trotzdem gelingt es, die bestrichene Fläche einigermaßen frei von „Nasen“ zu halten, und die frisch aufgetragene Farbe fließt auch nicht herunter (wie aufgrund ihres eben noch dünnflüssigen Verhaltens vielleicht zu erwarten). Bewegt sich der Pinsel mit einer Geschwindigkeit υ gegenüber der Wand, so entsteht im Farbfilm der Dicke h ein Geschwindigkeitsgradient dγ/dt ∼ υ/h. Diese Scherrate spielt die Rolle eines angelegten mechanischen Feldes. In diesem Feld ändert sich eine Materialeigenschaft, nämlich die Viskosität, drastisch. Wandfarbe ist nur ein Beispiel unter vielen komplexen Fluiden, in denen solche feldinduzierten Änderungen anwendungsrelevant sind.
Von „einfachen“ Flüssigkeiten kennen wir die Viskosität als Materialkonstante, die unabhängig von der Stärke des externen Feldes angibt, wie leicht oder zäh die Flüssigkeit fließt. Dahinter steckt das Prinzip der linearen Antwort auf schwache Störungen − für Flüssigkeiten von Isaac Newton formuliert: Innere Reibung erzeugt in der Flüssigkeit Spannungen σ, die linear mit der Amplitude des Feldes dγ/dt variieren. Die Proportionalitätskonstante η = σ/dγ/dt ist dann gerade die amplitudenunabhängige „Newtonsche“ Scherviskosität.
Welche Scherraten „schwach“ oder „langsam“ sind, verrät der Vergleich von 1/dγ/dt (das die Einheit einer Zeit hat) mit den Zeitskalen der durch thermische Fluktuationen hervorgerufenen Dynamik. In gewöhnlichem Wasser wären das etwa molekulare Schwingungen mit τ0 ≈ 1 ps. Jede realistische Scherrate ist langsam dagegen (τ0 << 1/dγ/dt), die Newtonsche Annahme somit erfüllt. ...
Bohrs Comeback
Dank moderner Erweiterungen eignet sich Bohrs Atommodell doch für Mehrelektronensysteme.
Die alte Quantentheorie, wie sie Niels Bohr 1913 vorgestellt hat, versagt schon bei der Anwendung auf Systeme mit wenigen Elektronen. Doch ist das wirklich so? Ungeachtet dieser gängigen Meinung stellte sich ein Jahrhundert später heraus, dass Bohrs Modell – mit geringfügigen Erweiterungen – überraschend genau die Potentialkurven des Wasserstoffmoleküls sowie von anderen Molekülen vorhersagen kann. Darüber hinaus bietet es einen aufschlussreichen Einblick in die Struktur von Atomen mit mehreren Elektronen.
Der berühmte Physiker Lew Landau wurde einmal gefragt, ob er ein Genie sei. Er soll darauf geantwortet haben: „Nein, ich bin sehr talentiert. ‚Genie‘ ist für Leute wie Bohr und Einstein reserviert.“ Wie Landau zu diesem Urteil kam, lässt schon ein kurzer Blick auf die Skizzen von Molekülstrukturen erahnen, die Bohr bereits ein Jahr vor dem Erscheinen seiner gefeierten Trilogie von Artikeln „Über die Konstitution von Atomen und Molekülen“ angefertigt hatte. Diese Darstellung entstammt einem kurzen Brief vom Juli 1912 an Ernest Rutherford, der auch als „Manchester-Memorandum“ bekannt ist. Bohr übermittelte darin seine Anmerkungen zur Struktur und Stabilität von Molekülen, um die Rutherford ihn gebeten hatte. In diesen Skizzen erleben wir Bohr in Bestform: Anhand des Planetenmodells unternahm er es, die Bindung in verschiedenen Molekülen auf sehr ansprechende und intuitive Weise zu erläutern. Insbesondere erkennen wir dort das Bohrsche Modell eines Wasserstoffmoleküls, in dem zwei Kerne durch einen festen Abstand getrennt sind und sich die beiden Elektronen auf Kreisbahnen um die Molekülachse bewegen.
Ungeachtet der überraschenden Genauigkeit der Beschreibung eines Atoms mit einem Elektron erwiesen sich jedoch Versuche, Bohrs Modell auf das H2-Molekül oder noch größere Systeme anzuwenden, als unbefriedigend. Allerdings sind nur geringfügige Erweiterungen nötig, damit das Bohrsche Modell für die Potentialkurven von H2 und anderen Molekülen erstaunlich genaue Ergebnisse liefert und eine neue Perspektive auf den Aufbau von Atomen mit mehreren Elektronen bietet. Daher entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Bohrs Bild der Moleküle sich nie durchsetzten konnte, denn es ist physikalisch ansprechend und aufschlussreich, wie wir im Folgenden zeigen möchten. ...
Geschichte
Der realistische Bohr
Haben Physiker vor der Quantenmechanik wirklich an die Realität kleiner atomarer Planetensysteme geglaubt?
Mit seinem Atommodell von 1913 erklärte Niels Bohr auf einen Schlag die Atomspektren, aber es war nur der zweite Versuch auf seiner Suche nach der Realität der Atome, nachdem sich Hoffnungen auf ein einfacheres Modell zerschlagen hatten. Wie reagierten die Physiker auf seinen kühnen Vorschlag?
Wenige Themen der Physik sind so gut bekannt, wie das Atommodell eines dänischen Newcomers, das sofort eine anschauliche Vorstellung hervorruft. Als 28-Jähriger, nach seinem Studium in Kopenhagen, entwickelte er es, wie wir heute sagen würden, als Postdoc in England. Niels Bohr erscheint heute als Zentrum einer Professorenfamilie – Vater Christian für Physiologie, Bruder Harald für Mathematik, und einer seiner Söhne, Aage, erhielt sogar wie er den Physik-Nobelpreis. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er das wissenschaftliche Aushängeschild Dänemarks schlechthin, wie auch das für ihn gebaute Institut ein wichtiges wissenschaftliches Zentrum in den 1920er- und 1930er-Jahren wurde, vor allem für die Quantentheorie.
Bohrs Weg zu seiner Atomtheorie ist schon lange von Historikern im Detail nachverfolgt worden, wobei sich wohl drei wesentliche Stadien seiner Arbeit abgrenzen lassen. Zunächst war Bohr gar nicht am Atombau interessiert, sondern kam 1911 mit einem Forschungsprojekt zur Elektronentheorie in Metallen nach England und so zu J. J. Thomson nach Cambridge und zu Ernest Rutherford nach Manchester. Die Frage nach gebundenen Elektronen in Metallen ließ ihn Ausschau halten nach speziellen Annahmen über ihre Anordnung und Bewegung, und zwar ganz im Rahmen von Thomsons verbreiteten Modellvorstellungen. Zu Rutherford wechselte er aufgrund dessen aktuellen Arbeiten über Radioaktivität (und nicht, weil ihn dessen Atommodell mit Atomkern eher zugesagt hätte als Thomsons „Plum Pudding“-Modell). Dann kam Bohr mit Rutherfords Mitarbeiter Charles G. Darwin über die Absorption von α-Teilchen in Metallen ins Gespräch, und hier setzten seine ersten Überlegungen zur Atomstruktur ein. Diese führten zum so genannten Manchester Memorandum, einer Ausarbeitung auf sechs Blättern, in aller Eile für Rutherford geschrieben. Es enthält Bohrs erste Version eines Atommodells, noch ganz im Stil Thomsons: Die Frequenzen der Lichtabstrahlung entsprachen bestimmten Oszillationen von Elektronen im Atom, nur dass Bohr Ideen hinzunahm, die er in seinen Forschungsarbeiten über Metalle gewonnen hatte. Demnach würden zur Erklärung der Materie die normale Mechanik und Elektrodynamik nicht ausreichen, vielmehr müssten sie, wie in der Theorie der spezifischen Wärme gerade gezeigt worden war, ergänzt werden durch Quantenbedingungen. ...