Hans-Jürgen Butt und Rüdiger Berger • 4/2021 • Seite 29 • DPG-MitgliederTreffen sich drei Phasen...
Die Physik nahe einer Kontaktlinie ist der Schlüssel, um dynamische Benetzung zu verstehen.
Benetzungsvorgänge begegnen uns ständig im täglichen Leben – zu den typischen Anwendungen gehören das Beschichten, Drucken, Verteilen von Herbiziden und Insektiziden sowie das Beschlagen von Glasscheiben. Bei der Anreicherung von Mineralien durch Flotation sowie beim Löten und Schmieren treten sie ebenso auf wie beim Benetzen von Textilien und Filtern. Dennoch ist die dynamische Benetzung sowohl qualitativ als auch quantitativ nur unzureichend verstanden. Um diese Prozesse besser zu verstehen, ist es notwendig, die Physik nahe der Kontaktlinie, an der Flüssigkeit, Festkörper und Gas aufeinandertreffen, zu betrachten.
Wolfgang Pauli soll gesagt haben: „Gott schuf das Volumen, der Teufel die Oberfläche.“ Denn an Grenzflächen ändert sich die Dichte eines bestimmten Stoffs über sehr kurze Abstände, und diese Diskontinuität erschwert ihre theoretische Beschreibung. Auch experimentell ist es eine Herausforderung, die Struktur und Dynamik von Molekülen an Grenzflächen zu bestimmen, weil sich hier normalerweise viel weniger Moleküle befinden als im Volumen.
Bei Benetzungsphänomenen kommt erschwerend der Übergang auf eine Dimension hinzu. Tritt eine Flüssigkeit in Kontakt mit einer festen Oberfläche, treffen die drei Phasen Flüssigkeit, Festkörper und umgebendes Fluid in einer Linie zusammen. Das umgebende Fluid setzt sich normalerweise aus Gasen wie Stickstoff oder Sauerstoff und dem Dampf der Flüssigkeit zusammen. Insbesondere die Bewegung dieser Drei-Phasen-Kontaktlinie bestimmt viele Benetzungsphänomene. Aus geometrischen Gründen befinden sich in oder nahe der Kontaktlinie noch einmal Größenordnungen weniger Moleküle als nahe der jeweiligen Grenzflächen. Das Signal bei der Messung in oder nahe der Kontaktlinie fällt entsprechend geringer aus, sodass sich Struktur und Dynamik an der Kontaktlinie nur schwer messen lassen.
Der Kontaktwinkel ist der wichtigste Parameter, um Benetzung zu quantifizieren. Für reale Oberflächen lassen sich Kontaktwinkel bisher nicht quantitativ vorhersagen, weder statisch noch dynamisch, wenn sich die Kontaktlinie bewegt. Dabei legte Thomas Young bereits 1805 die ersten Grundlagen zum quantitativen Verständnis [1]. (...)
weiterlesen Matthias Neubert und Hartmut Wittig • 4/2021 • Seite 35 • DPG-MitgliederPräziser Blick ins Innere der Materie
Das Mainzer Exzellenzcluster PRISMA+ sucht nach Physik jenseits des Standardmodells.
Mit Präzisionsexperimenten und theoretischen Arbeiten leistet das Exzellenzcluster PRISMA+ in Mainz wichtige Beiträge, um offene Fragen zur Validität des Standardmodells der Teilchenphysik zu beantworten. Zu den Hauptzielen zählen der Bau und Betrieb eines supraleitenden Beschleunigers für niederenergetische Präzisionsexperimente, um damit unter anderem Botenteilchen der Dunklen Materie nachzuweisen.
Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die elementaren Bausteine der Materie sowie die Kräfte, die zwischen ihnen wirken. Mit der Entdeckung des Higgs-Bosons am CERN wurde 2012 das letzte vom Standardmodell postulierte Elementarteilchen experimentell nachgewiesen. Nach Abschluss dieser Ära geht es nun darum, nach einer Erklärung von Phänomenen zu suchen, die sich nicht im Rahmen des Standardmodells beschreiben lassen: Woraus besteht Dunkle Materie? Warum gibt es im Universum mehr Materie als Antimaterie? Wie erklärt sich die Dunkle Energie, die für die beschleunigte Expansion des Kosmos verantwortlich ist?
Die Suche nach „neuer Physik“, die diese und andere Fragen beantworten kann, ist das wesentliche Ziel des Exzellenzclusters PRISMA+ (Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dabei stellt sich mehr und mehr heraus, dass die traditionelle Suche nach direkten Hinweisen auf die Existenz neuer, meist sehr schwerer Elementarteilchen mithilfe großer Teilchenbeschleuniger durch weitere Strategien zu ergänzen ist (Abb. 1). Denn es könnte sein, dass Teilchen, die im Standardmodell nicht vorkommen, deutlich schwächer als erwartet mit der bekannten Materie wechselwirken. Für ihren Nachweis sind Präzisionsexperimente bei höchsten Wechselwirkungsraten erforderlich. Die Physik jenseits des Standardmodells könnte sich zudem in sehr subtilen Effekten verstecken, etwa in Abweichungen zwischen präzise gemessenen Observablen und ihren theoretischen Vorhersagen. In diesem Fall besteht die Herausforderung darin, die nötige Präzision in Experiment und Theorie zu erreichen. Diese Arbeiten sind Aushängeschild und Leitmotiv von PRISMA+ und dem Vorgängercluster PRISMA. (...)
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