02.08.2016

Das Andere der Natur – Neue Wege zur Naturphilosophie

Jan C. Schmidt: Das Andere der Natur – Neue Wege zur Naturphilosophie, Hirzel Verlag, Stuttgart 2015, 360 S., geb., 29,40 €, ISBN 9783777624105

Jan C. Schmidt

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In den letzten Jahrzehnten hat sich die Erforschung nichtlinearer Dynamiken aus ihrer vormaligen Randständigkeit in der mathematisch orientierten Naturforschung emanzipieren können. Verschiedene konzeptionelle Ansätze im „Neuland“ wie Selbstorganisation, dissipative Strukturen, deterministisches Chaos oder Komplexitätstheorien sind dazu verfolgt worden. Die Analyse, was diese Erweiterung der naturwissenschaftlich ernsthaft studierten Phänomenklassen und die dabei erzielten Ergebnisse für unser Natur- und Weltverständnis eigentlich bedeuten, steht noch weitgehend aus.

Der Physiker und Philosoph Jan Cornelius Schmidt geht in seinem Buch „Das Andere der Natur“ diese naturphilosophische Denkaufgabe an. Zwei seiner zentralen Hauptthesen: Im Kern vieler neuartiger – oder zwar altbekannter, aber neu zu betrachtender – nichtlinearer Phänomene und Dynamiken sind verschiedene Typen von Instabilitäten erkennbar und „Natur ist Natur, insofern sie zur Instabilität fähig ist“. Hier zeigt sich das „Andere“ der Natur, was im reduktionistischen Programm der klassisch-modernen Naturwissenschaft nicht im Blick war, da die Suche nach dem Regelmäßigen, dem Stabilen, der erhofften Einheit der Natur prägend war.

Schmidt spürt all dem in seinem in allgemein verständlicher Sprache verfassten Buch nach. Die einzelnen Kapitel sind auch unabhängig voneinander lesbar, wenn man sich in den einleitenden Abschnitten (insbesondere über Instabilität und Selbstorganisation) eingelesen hat. Weitere gehaltvolle Kapitel des Buches behandeln Zeit, Zufall, Kausalität, Kosmos und Raum, Gehirn und Geist. Das sind jeweils tastende Versuche des tieferen Verstehens geschult an Schmidts guter Kenntnis der neueren naturwissenschaftlichen Entwicklungen und der (natur)philosophischen Ideengeschichte. Vieles lässt er dabei allerdings bewusst offen oder hält es dauerhaft offen, um keinem neuen Dogmatismus zu verfallen. Schmidt spricht von „nachmoderner“ (nicht: postmoderner!) Naturwissenschaft, in der alte Kennzeichen guter Wissenschaft (Reproduzierbarkeit, Prog­nostizierbarkeit, Kausalitätspostulat) fragwürdig oder eingeschränkt werden müssen. Demgegenüber steht der Vorteil, dass sich offene Sys­teme, Lebendiges und Veränderliches in der wirklichen Welt thematisieren lassen.

Ein großer Gewinn des Buches sind die Schlusskapitel, die Poten­ziale und eine mögliche Kennzeichnung „nachmoderner Technik“ untersuchen (explizit am Beispiel moderner Biotechnologie) und – angesichts der enormen Dynamik – nach ethischer Orientierung sowie nach Analyse der Wissenschafts- und Technikfolgen fragen. Die notwendige Reduktion in den Grundannahmen hinsichtlich einer „schwachen Kausalität“ bedeutet ja keineswegs, dass technisch erzeugte Wirkungen in nichtlinearen, lebens­weltlichen Prozessdynamiken ebenfalls schwach wären.

Insgesamt ein sehr anregendes Buch, das die neuen Möglichkeiten und die Grenzen des „nachmoder­nen“ mathematisch-naturwissenschaftlichen Weltverstehens und Machens in der Welt versucht auszuloten – und zum eigenen Weiterdenken der Leser anregt. Natur­wissenschaftlern, insbesondere Physikern, die mehr verstehen wollen als ihre spezialisierten Fachthematiken, sei es zur Lektüre empfohlen.

Wolfgang Liebert

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