28.11.2005

Das unsichtbare Jahrhundert

Panek


Aus meiner Schulzeit - sie lag in den 1960er-Jahren - habe ich vor allem den Satz meines Philosophielehrers in Erinnerung, in dem er uns mitteilte, dass die moderne Zeit durch die Gedanken von drei jüdischen Intellektuellen geprägt sei. Mein Lehrer meinte Karl Marx, Sigmund Freud und Albert Einstein, die bekanntlich das Weltall, das Denken und die Gesellschaft erkundet haben, und zwar so, dass wir uns an ihren Einsichten orientieren. Lassen wir den Ältesten unter ihnen außer acht und bleiben bei den beiden, die sich tatsächlich gegenseitig zur Kenntnis genommen und sogar miteinander korrespondiert haben - und zwar zu dem Thema "Warum Krieg?". Was Freud und Einstein verbindet, kann man so ausdrücken, dass sie beide - im weitesten Sinne - unsichtbare Wirklichkeiten ans Licht geholt und uns dabei ein neue Weltbild vermittelt haben - Einstein von der äußeren Welt namens Kosmos und Freud von der inneren Welt namens Bewusstsein. Überhaupt fällt selbst einem kurzen Blick auf den Beginn des 20. Jahrhunderts auf, dass damals erkannt wurde, wie sehr die Wirklichkeit anders ist, als sie erscheint. Im Alltag sind wir umgeben von mehr unsichtbaren als sichtbaren Dingen - von Röntgenstrahlen, Radioaktivität, elektromagnetischen Wellen geeigneter Wellenlänge und vielem mehr. Wenn die Welt anders ist, als sie aussieht, muss derjenige, der beschreiben will, wie sie ist, sie anders zeigen, als sie aussieht. Das haben Freud und Einstein geschafft, wobei das, was uns heute selbstverständlich erscheint, zunächst nur mit Schwierigkeiten behauptet und vertreten werden konnte. Die gemeinsame Geschichte von Freud und Einstein kann man sich also nur spannend vorstellen, und das Buch von Richard Panek erzählt sie uns auch genau so. Ein wunderbarer Text voller Einsichten in den Fortschritt der Wissenschaft und die Besonderheiten der Personen, die ihn ermöglicht haben. Panek vergisst zum Glück nicht, dass bei aller Sympathie zur Psychoanalyse Einsteins Wissenschaftlichkeit besser verständlich gemacht werden kann als die seiner Wiener Zeitgenossen. Aber die Geschichte, die dem Leser angeboten wird, strahlt eine große Freude über die Möglichkeiten der Forschung aus, und darauf kommt es an. Panek erinnert mit vielen Zitaten daran, dass die Jahre vor Einstein keineswegs in Erwartung einer großen Entwicklung waren. Die Physiker glaubten vielmehr, ihre Wissenschaft sei vollendet - also am Ende, wie es grobschlächtig heißen könnte. Aber an diesem Ende war ein neuer Anfang. An jedem Ende vermutet Panek einen Anfang. So heißt auch das letzte Wort seines Buches. Mit ihm kann das eigene Nachdenken beginnen. Das Buch macht Lust dazu.


Prof. Dr. Ernst Peter Fischer, Universität Konstanz

Weitere Infos:
R. Panek: Das unsichtbare Jahrhundert
Berlin Verlag 2005, 288 Seiten, geb.,
ISBN 9783827005960



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