DEFCON 1
Sassan Niasseri: DEFCON 1 – Die Geschichte des Atombombenkinos,
SCHÜREN 2025, 216 S.,
geb., 25 Euro, ISBN 9783741004964
Sassan Niasseri

Die Atombombe hat auch im Kino Spuren hinterlassen. Bereits 1947 erzählte der Spielfilm „The Beginning or the End“ die Geschichte des Manhattan-Projekts – ein Thema, das Christopher Nolan 2023 mit „Oppenheimer“ wieder aufgriff. Die Atombombe und die Folgen ihres Einsatzes waren und sind immer wieder Gegenstand von Verfilmungen unterschiedlichster Machart und Qualität.
Sassan Niasseri, studierter Psychologe und Online-Redaktionsleiter für Musikmagazine, lässt die „Geschichte des Atombombenkinos“ – so der Untertitel von Defcon 1 – im Wechsel mit der zugehörigen Zeitgeschichte Revue passieren. Das ist instruktiv, wenn auch etwas schematisch. Der Schwerpunkt liegt auf den 1980er-Jahren, als der kalte Krieg heißer wurde und die Welt 1983 einer nuklearen Auseinandersetzung nur dank des beherzten Handelns des russischen Offiziers Stanislaw Petrow entkam. Zeitgleich erzählte „The Day After“ eindringlich von den Folgen eines Atomkriegs. Niasseri schildert die nachhaltige Wirkung des bewusst als Warnung konzipierten Fernsehfilms sowohl auf die breite Öffentlichkeit und als auch auf politische Entscheidungsträger. Dazu verarbeitet er auch Interviews, die er in neuerer Zeit mit dem Regisseur geführt hat – genau wie bei anderen Filmen dieser Zeit: „War Games“ (1983), „Threads“ (1984) oder „Testament“ (1983). Das letzte Kapitel „Das japanische, sowjetische und deutsche Atombombenkino – und die Bombe im US-Kino der Neuzeit (1952 – 2025)“ durchbricht die chronologische Darstellung angloamerikanischer Filme.
Auch wenn sich nie alle Filme berücksichtigen lassen, bleibt die Auswahl Niasseris nicht immer nachvollziehbar. Um das europäische Kino macht er eher einen Bogen. So ist Alain Resnais Film „Hiroshima, mon amour“ (1959) definitiv mehr als die kurze Nebenbemerkung wert, und das nicht nur, weil er sich mit der Atombombe auseinandersetzt.
Obwohl dokumentarische und experimentelle Filme zum Thema grundsätzlich fehlen, vermisse ich den Film „Atomic Cafe“ (1982). Er bezieht seine nachhaltige Wirkung durch die geschickte Collage von Archivmaterial, Propaganda- und Trainingsfilmen aus der Zeit des Kalten Krieges. Darin finden sich auch Szenen aus dem Lehrfilm „Duck and cover“ (1951) zum Verhalten im Falle eines Nuklearangriffs, den Niasseri immerhin aufgreift.
Insgesamt bietet er einen eher eingeschränkten Überblick der Filme zur Atombombe. Auf aufschlussreiche Passagen folgen unnötige Abschweifungen, und einige Charakterisierungen oder Einschätzungen erweisen sich als falsch oder unvollständig. So geht der Disney-Film „Our Friend the Atom“ weit über einen „Kurzkinderlehrfilm“ hinaus und „A Boy and his Dog“ von Harlan Ellison ist kein Roman, sondern eine Kurzgeschichte.
Leider versucht der Autor nicht, die unterschiedlichen erzählerischen wie filmischen Ansätze zu charakterisieren und zu kategorisieren. Was das postulierte Genre „Atombombenkino“ über die Tatsache hinaus ausmacht, dass die Atombombe irgendeine Rolle spielt, bleibt unklar. „Es gibt nur wenige Beiträge zum Atombombenkino, von denen die meisten assoziativ zu verstehen sind, ohne konkrete Darstellungen nuklearer Auseinandersetzung“, heißt es etwa kryptisch im Kapitel zum sowjetischen Kino. Symptomatisch dafür ist, wenn Niasseri „Dune: Teil 2“ (2024) und Nolans „Oppenheimer“ in einem Atemzug nennt, weil „in beiden Filmen die Bombe im Mittelpunkt [steht]“ (S. 200). Dieser weit gefasste Ansatz lässt die erwähnten Lücken noch schwerer wiegen.
Trotz aller Eigentümlichkeiten bietet das Buch interessante Informationen und verdient eine Lektüre mit kritischem Auge.
Alexander Pawlak