Der Traum vom All
Sten Odenwald: Der Traum vom All – Eine Zeitreise durch die letzten 73 000 Jahre, Carl Hanser Verlag, München 2022, geb., 224 S., 36 Euro, ISBN 9783446274815
Sten Odenwald
Sten Odenwald, Direktor des NASA Space Science Education Consortium am NASA Goddard Space Flight Center in Maryland, hat eine Sammlung von hundert Objekten vorgelegt, die belegen, dass Menschen schon seit 73 000 Jahren – so der Untertitel des Buchs – vom Weltraum träumen. Wie nicht anders zu erwarten, folgen die ersten Einträge noch mit sehr großen Zeitabständen aufeinander. Spätestens mit dem Beginn des letzten Jahrhunderts und der rasanten Entwicklung von Astronomie und Raumfahrt drängt sich alles eng zusammen. Dennoch handelt es sich um einen gelungenen Überblick, der auch den unauffälligen und häufig unbeachteten Erfindungen Raum gibt, die unser heutiges Wissen um das Weltall maßgeblich geprägt haben.
Dazu gehört zum Beispiel der Rechenschieber, den Odenwald auf das Jahr 1622 zurückführt. Als unentbehrliche Hilfe beim Berechnen von Flugbahnen tat er noch beim Apollo-Programm seinen Dienst und wurde erst ab den 1970er-Jahren nach und nach durch elektronische Taschenrechner verdrängt. Fraglich bleibt nach der Lektüre des Essays die Jahreszahl: Sten Odenwald erklärt, dass die Theorie zum Rechenschieber erstmals in einem 1614 veröffentlichten Werk des schottischen Mathematikers und Astronomen John Napier zu finden sei. Nach einigen ersten Umsetzungen in vereinfachter Form ordnet er den ersten Prototypen des modernen Instruments dem englischen Mathematiker William Oughtred 1632 zu – statt 1622 wie in der Überschrift. (Was stimmt nun?)
Abgesehen von weiteren Kleinigkeiten, die eine sorgfältigere Schlusskorrektur hätte vermeiden können, stellt die präsentierte Sammlung jedoch einen Genuss in Text und Bild dar. Jedem der hundert Objekte ist eine Doppelseite gewidmet, meist mit einem großformatigen Aufmacher und einer kleineren Abbildung für zusätzliche Details. Die Texte lassen sich flüssig lesen und bieten trotz des begrenzten Umfangs eine Fülle von Informationen. Wenn das nicht ausreicht, findet sich im Anhang neben den Bildnachweisen zu fast jedem Objekt ein Hinweis auf weiterführende Literatur. Eine Überraschung hält der Schutzumschlag bereit, der auf der Innenseite ein Poster mit der Übersicht aller besprochenen Objekte bietet.
Leider fehlt ein Glossar und auch Querverweise zwischen den Einträgen fallen spärlich aus, selbst wenn besprochene Objekte in einem anderen Essay Erwähnung finden. Das erschwert die Navigation innerhalb der 224 Seiten, vor allem wenn man nicht in der chronologischen Reihung liest, sondern einzelne Essays gezielt herausgreift. Über die Auswahl der hundert Objekte lässt sich trefflich streiten, gerade wenn es um die Meilensteine der jüngeren Vergangenheit geht. Das bleibt bei einer solchen Einschränkung nicht aus – und Sten Odenwald ist sich dessen durchaus bewusst, wie er in seiner Einleitung schreibt. Tatsächlich halte ich nur einen Eintrag für verzichtbar: den Tesla Roadster als Sinnbild für Werbung im Weltraumzeitalter.
Kerstin Sonnabend