24.09.2008

Die Unbestimmtheit der Welt. Heisenberg und der Kampf um die Seele der Physik

Lindley, D.

Lindley beschreibt in seinem populärwissenschaftlichen Buch die Geschichte der Quantentheorie. Im Vergleich zu ähnlichen Ver-suchen ist hier zunächst positiv der historische Zugang hervorzuheben. Über die Geschichte der Radioaktivität und der Atommo-delle stößt Lindley ins Herz der Quantentheorie vor: den Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen. Dem Autor gelingt es, über weite Strecken ein ausgewogenes Verhältnis zwischen biografischen, anekdotischen, politisch-historischen und auch sachlich-fachlichen Sichtweisen herzustellen, sodass der interessierte Laie auch viel über Zeitumstände und Charaktere der Protagonisten erfährt. Schritt für Schritt wird der Leser mit den scheinbaren Paradoxien des Welle-Teilchen-Dualismus vertraut gemacht, denen die Physiker auf der Spur waren, bis es Werner Heisenberg 1925 und wenig später Erwin Schrödinger gelang, ihrer mathematisch Herr zu werden. Deutlich wird bei Lindleys Ausführungen, dass die Quantentheorie ein kollektives Unternehmen war, an dem Menschen mit unterschiedlichsten Charakteren und Fähigkeiten beteiligt gewesen sind. Behandelt werden auch die scharfen Kon-troversen um die neue Theorie, z. B. zwischen Niels Bohr und Albert Einstein. Hier liegt auch die Stärke von Lindleys Buch, das nicht einfach nur eine Erfolgstory linear nacherzählt.
Ärgerlich ist dagegen eine gewisse Oberflächlichkeit in den sachlichen Erörterungen. Lindley schreibt z. B., dass es bei Heisenberg die praktische Seite sei, die ihm zum Durchbruch verholfen habe, also das berühmte Gedankenexperiment in seinem Aufsatz über die Unbestimmtheitsrelationen (vgl. S. 180). Diese Legende wird oft erzählt, bleibt aber falsch. Heisenberg hat die Unbestimmtheitsrelationen aus der Transformationstheorie Diracs abgeleitet und erst in zweiter Line (um dem Einwand zu begegnen, man kann diese Dinge doch beobachten, also müssen sie existieren) im Gedankenexperiment vorläufig den Standpunkt eines Beobachters angenommen, der existierende Impuls- und Ortswerte messen will.
Ein anderes Beispiel für undifferenzierte Wiedergabe ist die These einer bewiesenen Äquivalenz von Matrizen- und Wellenme-chanik, die bereits vor über zehn Jahren schlüssig widerlegt wurde. Die Ungenauigkeiten scheinen teilweise daran zu liegen, dass der Verfasser die einschlägigen Quellen nur ungenügend zur Kenntnis genommen hat. Darauf deutet hin, dass weite Passagen des Textes eine Paraphrasierung von Stellen der autobiografischen Schrift Heisenbergs „Der Teil und das Ganze“ sind, ohne dies aber quellenkritisch zu beleuchten (immerhin entstand Heisenbergs Text 40 Jahre nach den Geschehnissen).
Gut ist dagegen die Kritik Lindleys an der Forman-These, die besagt, dass die Quantenphysiker den Determinismus aufgaben, um sich dem kulturellen feindlichen Milieu der Weimarer Republik anzupassen. Hier führt Lindley zu Recht die sachlichen Grün-de für die Aufgabe des Determinismus, die Internationalität der Quantentheoretiker mit dem Dänen Niels Bohr an der Spitze und anderes mehr an. Überzeugend wirken auch andere Erklärungen, etwa über die BKS-Theorie als Vorläufer zur Quantenmechanik oder über den Tunneleffekt als Ursache radioaktiven Zerfalls.
Immerhin bietet das Buch Lindleys aber eine historisch differenziertere Aufarbeitung der atomphysikalischen Forschung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, als wir das von ähnlichen populärwissenschaftlichen Texten gewohnt sind.
Dr. Werner Eisner, Leibniz Universität Hannover, ZEWW

D. Lindley, Die Unbestimmtheit der Welt. Heisenberg und der Kampf um die Seele der Physik
DVA, München 2008, 304 S., ISBN 9783421042958

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