18.09.2003

Mathematiker auf der Flucht vor Hitler

Siegmund-Schultze

Mathematiker auf der Flucht vor Hitler

Von R. Siegmund-Schultze.
Dokumente zur Geschichte der Mathematik, Band 10, Vieweg, Wiesbaden 1998. XIV + 368 S., Kart.,
ISBN 3-528-06993-7

Obwohl seit etwa zwei Jahrzehnten die Emigrationsforschung hoch im Kurs steht und inzwischen eine Fülle interessanter und informativer Publikationen vorliegen, finden sich darunter nur wenige monographische Untersuchungen zu einzelnen Wissenschaftsgebieten. Das vorliegende Buch des Berliner Wissenschaftshistorikers Reinhard Siegmund-Schultze versucht diese Lücke für das Gebiet der Mathematik zu schließen. Dabei geht es ihm nicht nur darum, sich im Sinne des main streams bisheriger Emigrationsforschung auf eine Soziologie und Statistik der Mathema tiker emigration nach 1933 und deren Konsequenzen für das deutsche Wissenschafts system zu beschränken, sondern er versucht auch, sozial geschichtliche Fragestellungen zu erörtern und die Wirkungen zu analysieren, die diese Emigration für das Gastland und für das Fachgebiet selbst hatte.

Im Mittelpunkt der Darstellung stehen dabei die Vereinigten Staaten und Richard Courant. Dies ist keineswegs zufällig und macht allein schon deswegen Sinn, weil die USA das Hauptaufnahmeland der aus Deutschland vertriebenen Mathematiker waren und Richard Courant unter diesen nicht nur eine zentrale Rolle spielte, sondern sein Nachlaß auch eine einzigartige wissenschaftshistorische Quelle für die Erörterung des Problems darstellt. Siegmund-Schultze geht in diesem Rahmen beispielsweise der Frage nach, in welchem Maße die Bindungen der Emigranten nach Deutschland aufrecht erhalten wurden und welche Rolle sie für die Entwicklung der deutsch-amerikanischen Nachkriegsbeziehungen gespielt haben; ein anderes interessantes und in der bisherigen Literatur ebenfalls nur am Rande behandeltes Problem ist das Selbstbild der Emigranten und die Haltung der Emigranten zu Deutschland.

Bei vielen Exilierten lassen sich beispielsweise noch lange Zeit starke Rückkehrhoffnungen konstatieren, und man bringt vielfach auch ein großes Verständnis für die Anpassungsleistungen der in Deutschland verbliebenen Fachkollegen auf. Daß dennoch nach 1945 nur relativ wenige Emigranten ins Nachkriegsdeutschland zurückkehrten und die Nachkriegsbewertungen deutlich strenger ausfielen als vorher, hängt ganz wesentlich damit zusammen, daß das Selbstbild der Emigration unter dem Eindruck der Kriegsentwicklung, der Niederlage Hitlerdeutschlands und nicht zuletzt der Verbrechen des Holocaust wesentliche Wandlungen durchlief und sich dadurch die emotionalen Bindungen an die alte Heimat und die deutsche Wissenschaft deutlich abschwächten. Da das Buch auch auf das Schicksal von der Physik nahestehenden Mathematikern bzw. mathematischen Physikern - vom schon erwähnten Richard Courant über Paul Epstein bis zu Theodor von Karman oder Richard von Mieses - eingeht, wird auch der physikhistorisch orientierte Leser das Buch mit großem Gewinn lesen; zugleich kann man nur hoffen, daß bald auch die Physikeremigration eine ebenso kompetente wie umfassende Behandlung erfahren möge.
Dr. Dieter Hoffmann, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin

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