Extrem schwerer Wasserstoff erzeugt
Wasserstoffisotop zeigt unerwartet starke Wechselwirkung zwischen Neutronen innerhalb des Kerns.
Der A1-Kollaboration am Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist es zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus China und Japan erstmals gelungen, in einem Elektronenstreuexperiment eines der neutronenreichsten Isotope, Wasserstoff-6, zu erzeugen. Das Experiment an der Spektrometeranlage am Teilchenbeschleuniger Mainzer Mikrotron (MAMI) präsentiert eine neue Methode zur Untersuchung leichter neutronenreicher Kerne und stellt bisherige Auffassungen über Vielnukleon-Wechselwirkungen infrage. „Diese Messung konnte nur dank der einzigartigen Kombination aus der exzellenten Qualität des MAMI-Elektronenstrahls und den drei hochauflösenden Spektrometern der A1-Kollaboration durchgeführt werden“, sagt Josef Pochodzalla vom Institut für Kernphysik.

Eine der grundlegendsten Fragen in der Kernphysik ist, wie viele Neutronen maximal in einem Atomkern mit einer gegebenen Anzahl an Protonen gebunden werden können. Für das fundamentale Isotop Wasserstoff, das nur ein einziges Proton enthält, wurden neben seinen bekannten Isotopen Deuteron und Triton auch mehrere sehr neutronenreiche Isotope von 4H bis 7H beobachtet. Die extrem schweren Wasserstoffisotope 6H und 7H, die das bislang höchste bekannte Neutronen-zu-Protonen-Verhältnis aufweisen, sind einzigartige Systeme, um diese Frage zu untersuchen. Allerdings gibt es nur wenige experimentelle Daten zu diesen exotischen Kernen, und die Ergebnisse sind umstritten. Insbesondere gibt es eine langjährige Debatte darüber, ob der Grundzustand von 6H eine niedrige oder eine hohe Energie aufweist.
Gemeinsam mit den chinesischen und japanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelte die A1-Kollaboration eine neue Herangehensweise zur Erzeugung von 6H. Ein Elektronenstrahl mit einer Energie von 855 Megaelektronenvolt wird auf ein 7Li-Target geschossen, wobei 6H produziert wird, indem zunächst ein Proton des Lithium-Kerns durch die Wechselwirkung mit dem Elektron resonant angeregt wird und prompt in ein Neutron und ein positiv geladenes Pion zerfällt. Überträgt dieses Neutron innerhalb des Kerns seine Energie auf ein weiteres Proton, so kann es zusammen mit dem Restkern den neutronenreichen Wasserstoff 6H bilden, während das Pion und das Proton den Kern verlassen und gemeinsam mit dem gestreuten Elektron zeitgleich mithilfe dreier Magnetspektrometer nachgewiesen werden können.
Um eine ausreichende Produktionsrate für diesen seltenen Prozess zu erreichen, wurde eine 45 Millimeter lange und 0,75 Millimeter dicke Lithiumplatte vom Elektronenstrahl entlang der langen Seite durchquert. Dies ist äußerst ungewöhnlich, da in Elektronenstreuexperimenten normalerweise sehr dünne Proben entlang der Strahlachse verwendet werden, wobei der Strahl auf eine breite Fläche senkrecht zur Ausbreitungsrichtung trifft. Ermöglicht wurde dieser besondere Aufbau durch die exzellente Strahlqualität von MAMI – insbesondere durch den äußerst fokussierten und stabilen Elektronenstrahl. Eine zusätzliche Herausforderung stellte der Umgang mit Lithium dar, da dieses Material chemisch äußerst reaktiv, mechanisch empfindlich und zudem temperaturempfindlich ist.
Während einer vierwöchigen Messkampagne konnte, wie zuvor abgeschätzt, etwa ein Ereignis pro Tag beobachtet werden. Es war eines der seltenen Experimente am MAMI, bei dem alle drei hochauflösenden Spektrometer in der A1-Experimentierhalle gleichzeitig im Koinzidenzmodus betrieben wurden, sodass drei Teilchen gleichzeitig nachgewiesen werden konnten. Dieser komplexe Aufbau ermöglichte eine bisher unerreichte Präzision bei gleichzeitig sehr niedrigem Untergrund. Die neue Messung lieferte ein deutliches Signal von 6H mit einer sehr geringen Grundzustandsenergie, welche auf eine stärkere Wechselwirkung zwischen den Neutronen in 6H hindeutet, als nach den jüngsten theoretischen Berechnungen zu erwarten war – und somit unser Verständnis von Vielnukleon-Wechselwirkungen in stark neutronenreichen Systemen infrage stellt.
JGU Mainz / JOL