17.05.2024

Elemententstehung: Woher stammen die p-Kerne?

Wenn neutronenreiches Material intensiver Neutrinostrahlung ausgesetzt ist, könnten seltene Isotope entstehen.

Wissenschaftler des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, der TU Darmstadt und des MPI für Astrophysik haben einen neuen Prozess für die Nukleosynthese vorgeschlagen, den „νr-Prozess“. Er funktioniert, wenn neutronenreiches Material intensiver Neutrinostrahlung ausgesetzt ist. Der theoretische Vorschlag könnte die Lösung für ein seit langem bestehendes Problem im Zusammenhang mit der Produktion einer Gruppe seltener Isotope sein: Diese „p-Kerne“ kommen zwar im Sonnensystem vor, ihr Ursprung ist aber immer noch schlecht verstanden.

Abb.: Ein Supernova-Überrest. Bei der Explosion des Sterns ist vermutlich ein...
Abb.: Ein Supernova-Überrest. Bei der Explosion des Sterns ist vermutlich ein Magnetar entstanden. In der Umgebung eines Magnetars könnten p-Kerne entstehen.
Quelle: Hubble Heritage Team, STScI, AURA / Y. Chu et al., UIUC / NASA

Fusionsprozesse in massereichen Sternen erzeugen Kerne bis hin zu Eisen und Nickel. Darüber hinaus werden die meisten stabilen schweren Kerne, wie Blei und Gold, durch langsame oder schnelle Neutronen-Einfangprozesse erzeugt. Für die Produktion der übrigen, neutronenarmen Kerne wurde eine Vielzahl von Nukleosynthese-Prozessen vorgeschlagen. Es ist jedoch nach wie vor eine Herausforderung, die großen Mengen an Molybdän-92, Molybdän-94, Ruthenium-96, Ruthenium-98 und Niob-92 im frühen Sonnensystem zu erklären. Der νr-Prozess ermöglicht die gleichzeitige Produktion all dieser Kerne, da Neutrinos eine Reihe von Einfangreaktionen katalysieren.

Der νr-Prozess findet in neutronenreichen Ausströmungen astrophysikalischer Explosionen statt, die anfangs, wenn die Temperaturen hoch sind, aus Neutronen und Kernen im Bereich von Eisen und Nickel bestehen. Wenn die Temperatur des Materials sinkt, werden schwerere Kerne aus leichteren Kernen durch eine Abfolge von Neutroneneinfang- und schwachen Wechselwirkungs-Prozessen erzeugt. Anders als beim schnellen Neutroneneinfang-Prozess, bei dem die schwachen Reaktionen Betazerfälle sind, handelt es sich beim νr-Prozess jedoch um Neutrino-Absorptionsreaktionen.

Sobald die freien Neutronen aufgebraucht sind, werden die in den Kernen gebundenen Neutronen durch weitere Neutrino-Absorptionen in Protonen umgewandelt, wodurch Atomkerne nahe der Beta-Stabilitätslinie und sogar darüber hinaus erzeugt werden. Die Energie der Neutrinos ist groß genug, um Kerne in Zustände anzuregen, die durch die Emission von Neutronen, Protonen und Alphateilchen zerfallen. Die emittierten Teilchen werden von den schweren Kernen eingefangen.

Dadurch wird eine Reihe von Einfangreaktionen ausgelöst, katalysiert durch Neutrinos, die die endgültigen Häufigkeiten der durch den νr-Prozess erzeugten Elemente bestimmen. Auf diese Weise können Neutrinos neutronenarme Kerne erzeugen, die sonst unerreichbar sind. „Unsere Entdeckung eröffnet eine neue Möglichkeit, die Entstehung von p-Kernen durch Neutrino-Absorptionsreaktionen mit Kernen zu erklären“, sagt GSI-Forscher Zewei Xiong.

Offen ist noch die Frage, in welcher Art stellarer Explosion der νr-Prozess auftritt. Die Forscher schlagen vor, dass der νr-Prozess in Material abläuft, das in einer Umgebung mit starken Magnetfeldern ausgestoßen wird, wie etwa in magnetorotierenden Supernovae, Kollapsaren oder Magnetaren. Dieser Vorschlag hat Astrophysiker dazu veranlasst, nach den geeigneten Bedingungen zu suchen, und in der Tat wurde bereits berichtet, dass magnetisch getriebene Massenauswürfe die notwendigen Bedingungen erreichen.

Der νr-Prozess erfordert die Kenntnis von Neutrinoreaktionen und Neutronen-Einfangreaktionen an Kernen, die sich auf beiden Seiten der Beta-Stabilitätslinie befinden. Die Messung der relevanten Reaktionen wird künftig mit den Speicherring-Kapazitäten der GSI/FAIR-Anlage möglich werden.

GSI / RK

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