18.09.2003

NMR Spectroscopy: Modern Spectral Analysis

Weber, Thiele

NMR Spectroscopy: Modern Spectral Analysis

Von U. Weber u. H. Thiele.
WILEY-VCH, Weinheim 1998. XVI + 393 S., geb., inkl. CD-ROM,
ISBN 3-527-28828-7

Ein Buch und eine "CD-ROM included" versprechen einen "interactive course". Der zukünftige Spektroskopiker reißt natürlich als erstes die CD aus dem Buch und stellt zu seiner Freude fest, daß sich die Programme - es handelt sich um "Teaching"-Versionen von 1D-WIN-NMR, WIN-DAISY, WIN-DR und WIN-DYNAMICS der Firma Bruker - problemlos installieren lassen (Pentium 200, Windows NT 4.0). Da er nun nicht weiß, was er als nächstes tun soll, greift er zum Buch. Dieses beschreibt zunächst das Problem, das es zu lösen gilt: Eindimensionale Experimente und darauf basierende Spin-System- Analysen würden kaum noch durchgeführt und ein mangelndes Verständnis derselben sei schädlich. Obwohl zumindest die nostalgisch Veranlagten das Verschwinden der eindimensionalen NMR-Experimente bedauern, so ist dieses Verschwinden doch in weiten Teilen nicht unbegründet: Die zwei- und mehrdimensionale NMR liefert mehr Ergebnisse in kürzerer Zeit, und die Experimente sind ungleich einfacher durchzuführen als die eindimensionalen Analoga, so sie denn existieren.

Nun bezweifelt niemand, daß ein Verständnis grundlegender Eigenschaften von Spin-Systemen nützlich ist, die Bücher etwa von Friebolin oder Günther (siehe unten) geben einen guten Einblick. Die Buch/CD-ROM Kombination von Weber und Thiele verspricht eine Anleitung zur Analyse von "klassischen" eindimensionalenNMR-Spektren. Das Werk ist sehr deskriptiv angelegt und verzichtet fast komplett auf einen theoretischen Unterbau. Das Buch besteht vorwiegend aus Beispielen aus der organischen Chemie, die beigelegten Spektren verschiedener Substanzen sollen an Hand der in der CD enthaltenen Computerprogramme analysiert und simuliert werden (der Import und die Auswertung eigener Spektren ist mit den beigelegten Programmversionen nicht möglich). Zunächst werden einfache Spinsysteme (freier Spin, AX, AMX etc.) vorgestellt, sodann werden strukturelle Einflüsse auf die Kopplungsmuster und Symmetrieeffekte erläutert, anschließend werden Hetero-Kerne und zeitabhängige Phänomene (diese sehr kurz) behandelt. In einem 31-seitigen Anhang wird ein knapper Abriß der Quantenmechanik von Spinsystemen und eine kurze Liste der in den beigelegten Programmen angewandten Linienanpassungsalgorithmen gegeben. Dies alles klingt sehr stark nach dem Standard vieler, vor allem älterer, einführender Lehrbücher - und ist es auch.

Beispielsweise werden Doppelresonanz-Experimente beschrieben, die so wohl kaum noch durchgeführt werden (etwa "spin-tickling"). Das Gros der Referenzen ist entsprechend aus den 60er und 70er Jahren. Das "modern" im Titel muß sich also auf die beigelegte CD-ROM beziehen. Die Programme werden permanent zur Simulation herangezogen, zu der mit "check it with..." aufgefordert wird, das Buch besteht zu gut der Hälfte aus sehr detailliert beschriebenen Anleitungen zur Verwendung der Programme, insgesamt fast 500mal wird zum "check it ..." aufgerufen. Spätestens aber beim zehnten Mal wird es auch für den enthusiastischsten Spektroskopiker sehr ermüdend, chemische Verschiebungen, Kopplungskonstanten und weitere Parameter der mitgelieferten Spektren zu vermessen und einzugeben. Die Programme sind recht schwerfällig und im Grunde ist nicht klar, welcher Erkenntnisgewinn durch die mühseligen Simulationsprozeduren erreicht werden soll im Vergleich etwa zum altmodischen Abdruck der simulierten Spektren auf ganz gewöhnlichem Papier (das wäre übrigens auch platzsparender als die umständlichen Programmbeschreibungen) - "learning by doing" ist das jedenfalls nicht. Das offenbar angestrebte Ziel, die Wissensvermittlung durch die Programmanwendung lebendiger zu gestalten, schlägt in das direkte Gegenteil um.

Die Mühsal wird noch größer durch die zahlreichen Sprachunebenheiten, eine Korrektur durch einen Muttersprachler wäre angebracht.

Auf der positiven Seite ist natürlich zu vermerken, daß die Buch/CD-Kombination manchen dazu anregen könnte, den Bildschirm als Auswertemedium für NMR-Spektren zu entdecken. Die Bildschirmauswertung von NMR-Daten ist ja ein Aspekt, der aus vielerlei Gründen - etwa aus Mangel an geeigneten Programmlizenzen oder Bildschirmarbeitsplätzen - in der Ausbildung der Studenten generell zu kurz kommt. Noch regiert in der Ausbildung das Papier, während zumindest die moderneren NMR-Labors fast "papierfrei" sind. Diesem Zweck wäre es aller dings dienlicher, eine kurze, zusammenfassende Programmbeschreibung, kombiniert mit Aufgaben zu den einzelnen Buchabschnitten zu geben, anstatt jeden einzelnen Knopfdruck in den umfangreichen Anleit ungen zu erläutern.

Wem ist das Werk zu empfehlen? Wer noch eindimensionale Spektren ohne Zuhilfenahme der zweidimensionalen NMR auswerten muß und dazu das WIN-NMR Software paket benutzen darf oder Studenten, die tatsächlich eine allererste Begegnung mit der Bildschirmauswertung von NMR-Daten suchen, sollten sich die Buch/CD-ROM Kombination sicherlich anschauen, die allerdings zumindest in der Studentenausbildung doch etwas zu umfangreich ist (man sollte auf jeden Fall viel Zeit mitbringen).

Das größte Manko aber - für 328,-DM ist die Buch/CD-ROM Kombination unverhältnismäßig teuer. Ich persönlich würde mir für das Geld die Bücher von Braun et al. (150 and More Basic NMR-Experiments, Wiley-VCH, 1998), Friebolin (One- and Two-DimensionalNMR-Spectroscopy, Wiley-VCH, 1998) und Günther (NMR-Spectroscopy, Wiley & Sons, 1995) kaufen und versuchen, das Buch von Corio (Structure of High-Resolution NMR Spectra, Academic Press, 1966) antiquarisch zu erwerben (vermutlich vergeblich, aus gutem Grund).
Prof. Dr. Paul Rösch, Lehrstuhl Biopolymere, Universität Bayreuth

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