08.03.2017

Physics in a Mad World

M. Shifman (Hrsg.): Physics in a Mad World. Houtermans – Golfand, World Scientific, Singapur 2016, 540 S., brosch., 28 £, ISBN 9789814619288

Mikhail Shifman (Hrsg.)

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Das vorliegende Buch umfasst die biografischen Studien von zwei Physikern, die zu höchst unterschiedlichen Zeiten zu Opfern von Repression und Verfolgung in der Sowjetunion geworden sind. Fritz Houtermans war als Kommunist aus dem nationalsozialistischen Deutschland über England in die Sowjetunion emigriert, wo er am berühmten Physikalisch-Technischen Institut in Charkow eine neue berufliche Zukunft fand. Diese endete abrupt im Dezember 1937, als man ihn im Rahmen der Stalinistischen Säuberungen verhaftete und der Spionage und trotzkistischer Aktivitäten verdächtigte. Dass Houtermans nicht wie viele seiner Zeitgenossen im Gulag verschwand und ermordet wurde, ist einer weltweiten Solidaritätsaktion von Physikern wie Albert Einstein, Patrick Blackett oder Frédéric Joliot-Curie zu verdanken, aber in zynischer Weise auch dem Hitler-Stalin-Pakt. Dieser bestimmte nämlich die Ausweisung ausgewählter deutscher Emigranten nach Deutschland. Dort wurde Houtermans von der Gestapo sofort wieder ins Gefängnis gebracht. Doch die Bemühungen von Max von Laue und anderen Kollegen führten zu seiner baldigen Entlassung und zur Integration in das deutsche Uranprojekt.

Der sowjetische Physikhistoriker Viktor Frenkel hatte sich im Zeichen von Glasnost und Perestroika für das spektakuläre Leben Houtermans interessiert und begonnen, eine Biografie zu verfassen. Durch den plötzlichen Tod von Frenkel blieb sie zunächst unvollendet und erschien posthum 1997 in St. Petersburg. Nachdem im Jahre 2010 eine deutsche Ausgabe als Preprint des MPI für Wissenschaftsgeschichte (Nr. 414) publiziert wurde, existiert mit dem vorliegenden Buch nun auch eine englische Ausgabe. Diese wird durch einige interessante Dokumente – beispielsweise Tagebuchaufzeichnungen von Charlotte Houtermans oder Briefauszüge aus ihrem Nachlass – ergänzt.

Im zweiten Teil des Buches finden sich darüber hinaus zwei Essays über ein anderes Opfer sow­jetischer Gewaltherrschaft, den Physiker und Mitentdecker der Super­symmetrie Yuri Golfand. Dieser erlitt in der Breschnew-Ära als Bürgerrechtler und Jude Drangsalierung und Ausgrenzung; nach jahrelangen Bemühungen gelang ihm schließlich im Jahre 1990 die Emigration nach Israel.
Wie der Herausgeber des Bandes, der in Minneapolis wirkende russische Physiker Mikhail Shifman, in seinem Vorwort schreibt, möchte er mit beiden Biografien auf die totalitäre und diktatorische Vergangenheit des heutigen Russlands aufmerksam machen, zumal „we are currently witnessing recurrent (and even dangerously growing) symptoms of authoritarian rule“ (S. IX). Das vorliegende Buch ist also Mahnung und Bekenntnis zugleich, „that lessons from the past are never obsolete“ (S. X).

So sehr der politische und moralische Zugang des Buches zu begrüßen ist, so sehr ist der Umgang des Herausgebers mit den Texten bzw. den Fußnoten und dem wissenschaftlichen Apparat kritisch zu kommentieren. Hier ist leider nicht immer klar, was vom Autor der Texte und was vom Herausgeber stammt. Auch die (zuweilen sehr subjektiven) Kommentare erfüllen leider nicht immer den Standard einer wissenschaftshistorischen Edition.

Prof. Dr. Dieter Hoffmann,
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin

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