Physiker zwischen Autonomie und Anpassung
Hoffmann, D. und Walker, M. (Hrsg.)
In zwölf Einzelbeiträgen wird versucht, dieses Anliegen umzusetzen und verschiedene Schwerpunkte an exemplarischen Beispielen abzuhandeln. Der Beitrag von Paul Forman blickt zunächst auf die Weimarer Zeit zurück und zeigt die Wurzeln für das Verhalten in der NS-Zeit auf. Leider beruht dieser Beitrag im Wesentlichen auf einem 25 Jahre alten Aufsatz, der nur unzureichend mit Blick auf die Belange dieses Buches überarbeitet wurde. Dass er dennoch unverzichtbar ist, macht nicht zuletzt der nachfolgende Beitrag von Richard Beyler deutlich, der die historische Vielschichtigkeit des Verhaltens der DPG und ihrer Protagonisten in der NS-Zeit zwischen den Mythen Widerstand und Kapitulation erfolgreich darstellt. Aus diesem wie den weiteren Beiträgen wird aber auch deutlich, dass man tatsächlich in vielen Fällen vom Verhalten einzelner führender bzw. Verantwortung tragender Mitglieder sprechen muss und weniger von der DPG. Denn aufgrund ihrer bisherigen Geschichte verstand sich die DPG eher als generelle Standesvertretung denn als Interessenvertretung ihrer einzelnen Mitglieder. Stefan Wolff erläutert an ausgewählten Beispielen den (problematischen) Umgang der DPG mit den in die Emigration gezwungenen (jüdischen) Kollegen.
Die Ereignisse um die Sommerfeld-Nachfolge nimmt Michael Eckert zum Anlass, die Diskussionen um die so genannte Deutsche Physik neu zu beleuchten und zeigt überzeugend, dass der Kampf gegen diese im Nachkriegsdeutschland zu einem gewissen Widerstandsmythos verklärt wurde. Dieter Hoffmann erläutert, wie in der Ramsauer-Ära dann ein stärkeres Einschwenken auf die Kriegserfordernisse des NS-Staates erfolgte, kaschiert durch das Bemühen, die Physik in Deutschland auf eine etwas ominöse Nachkriegszeit auszurichten. Schließlich macht Gerhard Simonsohn deutlich, dass auch in der NS-Zeit sehr viel „normale Forschung“ in gewohnten Bahnen und auf hohem Niveau realisiert wurde. Die Vorgänge um die Verleihung der Planck-Medaille in jener Zeit (Beyler/Eckert/Hoffmann) erhellen das politische Lavieren der Verantwortlichen in der DPG. Jeder Autor eröffnet unter seinem spezifisch gewählten Blickwinkel gut fundierte – soweit Quellenmaterial vorliegt – und lesenswerte Einsichten. Leider ließ sich offenbar nicht vermeiden, dass es in diesen Beiträgen viele Überschneidungen gibt, die durch häufige wechselseitige Verweise sogar noch betont werden. Die übergreifende Klammer über diese Beiträge zur NS-Zeit liefert der einleitende Beitrag von Mark Walker allerdings nur bedingt.
Klaus Hentschel und Gerhard Rammer gehen auf die Nachkriegsmentalität der deutschen Physiker ein, darauf, wie die personellen Netzwerke funktionierten und unter welchen Bedingungen wichtige Entscheidungen für die Physik in Deutschland nach dem Krieg getroffen wurden. Daraus wird auch ersichtlich, dass den führenden Personen in der DPG nun offenbar klar geworden war, dass die DPG unter den neuen Bedingungen mehr sein muss und will als nur eine Standesgesellschaft, die alle Jahre eine Physikertagung veranstaltet. Sie sollte vielmehr auch als Körperschaft am gesellschaftlichen Leben teilhaben; manches Verhalten in der NS-Zeit wurde dabei jedoch eher verdrängt oder mythisiert.
Sehr dienlich und erhellend ist in den beiden abschließenden Beiträgen der Vergleich mit Verhaltensweisen anderer wissenschaftlicher Gesellschaften in der NS-Zeit, wie den mathematischen (Volker Remmert) und den chemischen (Ute Deichmann) Gesellschaften.
Komplettiert wird der Band durch einen Abbildungs- sowie umfangreichen und nützlichen Dokumentenanhang. Leider enthält der Band zahlreiche – wenn auch kaum sinnentstellende – Druckfehler (gehäuft im ersten Viertel).
Trotz einiger Kritikpunkte, die allerdings eher äußerlicher Art sind, ist der Band allen Physikerinnen und Physikern sehr zu empfehlen, die auch nur ein wenig an der (wissenschaftspolitischen) Geschichte ihres Faches interessiert sind.
Dr. Horst Kant, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin