Quantenlicht
Thomas de Padova: Quantenlicht – Das Jahrzehnt der Physik 1919 – 1929, Hanser Verlag, München 2024, geb., 432 S., 28 Euro, ISBN 9783446281349
Thomas de Padova
Historische Sachbücher, die sich bestimmten Jahrzehnten oder einzelnen Jahren widmen, haben Konjunktur. Thomas de Padova, versierter Wissenschaftsjournalist und Buchautor, nimmt sich der Physik in den „Goldenen Zwanzigern“ an. Das könnte Kalkül im Fahrwasser der populären Fernsehserie „Babylon Berlin“ sein, hat aber seine Berechtigung. In den Jahren 1919 bis 1929 nahmen die Entwicklung und der Siegeszug der Quantenmechanik ihren Lauf.
Mit Fug und Recht lässt sich sagen, das de Padova diese dramatische Periode der Physik beleuchtet. Der Buchtitel weist den Weg und nimmt die Erforschung des Lichts in der Folge von Plancks Quantenhypothese in den Blick, ausgehend von der weitreichenden Grundfrage, ob Licht Welle oder Teilchen ist. Dabei verknüpft der Autor die Ausführungen zur Physik geschickt mit Bezügen zur Fotografie und der sich durchsetzenden elektrischen Stadtbeleuchtung und verwebt alles mit historischen Begleitumständen und biografischen Informationen zu den Protagonist:innen – allen voran Planck, Einstein, Bohr, Heisenberg, Schrödinger, aber auch Lise Meitner.
Die umfangreichen Quellennachweise und Literaturangaben zeigen, dass Thomas de Padova ausgiebig und sorgfältig recherchiert hat. Natürlich kann er die Geschichte der Quantenmechanik nicht neu erfinden, aber er rezipiert moderne Ergebnisse der Wissenschaftsgeschichte und geht beispielsweise dem „Helgoland-Mythos“ nicht auf den Leim (vgl. den Artikel von Arne Schirrmacher ab S. 26), sondern führt nah an den Protagonisten und ihrem engen Austausch durch die Entstehungsgeschichte der Quantenmechanik. In vielem ähnelt das dem Buch „Quanten“ von Manjit Kumar (vgl. Physik Journal, August/September 2010, S 103), das einen größeren Zeitraum behandelt und immer noch sehr lesenswert ist.
De Padova spart nicht mit (durchaus verblüffenden) Exkursen zu Kunst oder familiären Verhältnissen. Das stört manchmal, etwa wenn er die Wiedergabe von Niels Bohrs Vortrag im April 1920 in Berlin durch familiäre Infos unterbricht. Das Einstein-Foto von Suse Byk aus dem Jahr 1919, das auf der Titelseite der Berliner Illustrierten Zeitung den Startpunkt von dessen weltweiter Berühmtheit markiert, ist ein Leitmotiv mit einer schönen Pointe. Dennoch finde ich die Schreibweise „Fotoeffekt“ unschön. Ebenso irritiert, wenn sich Kapitelüberschriften mit Zwischentiteln doppeln, etwa „Das bonzenfreie Kolloquium (S. 59) und „Das »bonzenfreie Kolloquium«“ (S. 76).
Die beiden physkalischen Leitmotive sind die mehrfach auftauchende Gleichung E = h ν und der Doppelspalt-Versuch, zu dem sich dreimal dasselbe Bild im Buch findet. Daran schildert de Padova die weitverzweigte Diskussion um die rätselhafte Natur des Lichts. Dabei kommt, nicht zuletzt durch die zeitliche Konzentration auf ein Jahrzehnt, die Problematik des Atoms etwas zu kurz, speziell da, wo sie bei Boltzmann die Wahrscheinlichkeit in die Physik bringt. Auch liegt der Schwerpunkt auf der theoretischen Physik. Schlüsselexperimente (z. B. Franck-Hertz, Stern-Gerlach) finden zwar Erwähnung, bleiben aber eher Datenlieferanten für die Theorie.
Ob sich durch die Lektüre von „Quantenlicht“ ohne Vorkenntnisse tiefere Einsichten in die Quantenmechanik gewinnen lassen, würde ich bezweifeln. Aber das Buch bietet ein sorgfältig recherchiertes Panorama der Physik und der Zeitumstände der 1920er-Jahre. De Padova weist einen gut ausgebauten Pfad, dessen Laternen eine erste gute Orientierung in der Geschichte der Quantenmechanik bieten.
Alexander Pawlak