18.09.2003

Rüstungsmodernisierung durch Wissenschaftsmigration?

Stanley

Rüstungsmodernisierung durch Wissenschaftsmigration?

Von R. Stanley.
Vervuert Verlag, Frankfurt/Main 1999. 360 S., Broschur,
ISBN 3-89354-869-6

Während über das Wirken deutscher Wissenschaftler und Ingenieure in der Nachkriegs-Sowjetunion und auch über die Indienstnahme deutschen Know-hows auf dem Gebiet der Raketentechnik durch die USA gerade in jüngster Zeit einige fundierte wissenschaftshistorische Studien erarbeitet wurden, hat sich die historische Forschung bei der Aufarbeitung der Wissenschaftsmigration in andere Länder bislang auffallend zurückgehalten. Gründe für diese Zurückhaltung mögen u.a. in der sehr viel geringeren Popularität eines solchen Untersuchungsfocus liegen, dass er indes nicht minder interessant ist, beweist das vorliegende Buch der Berliner Historikerin Ruth Stanley.

Die Autorin geht der Anwerbung deutscher Fachleute, insbesondere Luftfahrttechniker und Physiker, durch Argentinien und Brasilien nach. Dabei interessiert sie sich nicht nur für das persönliche Schicksal und den Umfang dieser Migration, die in der Größenordnung von einigen Hundert Wissenschaftlern lag, sondern sie sucht das Wirken der Wissenschaftler in ihren Gastländern in den generellen Kontext des Wissenschafts- und Technologietransfers von hoch entwickelten Industriestaaten in Entwicklungsländer zu stellen. Die Studie gelangt dabei zum Schluss, dass die deutschen Spezialisten die Erwartungen an eine nachhaltige wissenschaftlich-technische und industrielle Modernisierung dieser Länder und an einen Vorstoß in Bereiche damaliger Spitzentechno logien - u.a. wird auch das Beispiel der argentinischen Nuklear- und Kernfusionsforschung diskutiert (S. 205) - nicht erfüllt haben.

Gründe des Scheiterns sind nicht nur in den technologischen Unzulänglichkeiten der Aufnahmeländer auszumachen, auch der Mangel an technischer Kompetenz bei den politischen Entscheidungsträgern, deren Hang zum Gigantismus und eine allgemeine Unterschätzung der gesellschaftlichen Anforderungen eines solchen Hochtechnologietransfers sowie nicht zuletzt die instabile politische Situation, Akkulturisationsprobleme und Mentalitätsdifferenzen spielten dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Für die Mehrzahl der deutschen Experten blieb so der Aufenthalt in Lateinamerika ein kurzes Intermezzo ihrer Karriere - die meisten kehrten mit Aufhebung der alliierten Forschungsverbote in den fünfziger Jahren in die Bundesrepublik zurück. Dieses "happy end" sollte uns jedoch - so das Fazit der Autorin - nicht in Hinblick auf die aktuellen Probleme der Proliferation rüstungstechnischen Know-hows zu vorschnellen historischen Analogieschlüssen und zum Optimismus verleiten, dass ein rüstungstechnologischer Transfer durch migrierende Wissenschaftler generell unmöglich wäre.
Dr. Dieter Hoffmann, MPI für Wissenschaftsgeschichte, Berlin

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