21.02.2023

Science Fiction

Glyn Morgan: Science Fiction­ – Voyage­ to the Edge of Imagination,­ Thames & ­Hudson, London 2022, geb., 288 S., 30 £, ISBN 9780500252390

Glyn Morgan

Dem Science Museum in London bieten sich mehr als genug faszinierende Themen aus realer Wissenschaft und Technik, sodass es fast erstaunt, dass es sein Publikum in einer Sonderausstellung zur Science-Fiction auf eine „Reise an den Rand der Vorstellung“ einlädt. Dort gibt es viele ikonische Objekte und Kulissen aus Literatur, Film, Fernsehen, Wissenschaft und Technik zu sehen, aber es geht um mehr als nur eine Ansammlung von Kultobjekten für eingefleischte Fans. Vielmehr soll die Ausstellung die spannende und oft alles andere als geradlinige Wechselbeziehung zwischen „Science“ und „Fiction“ erfahrbar machen.

So gab es bereits dreißig Jahre vor dem ersten Test einer Atombombe eine allererste literarische Vision: H. G. Wells schilderte 1914 in seinem Roman „World Set Free“ die Explosion einer Art Atombombe in Berlin. Das war keine reine Fantasie, sondern Wells ließ sich von den Arbeiten des englischen Physikers Frederick Soddy inspirieren.

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Zur Ausstellung ist ein reichhaltig bebildertes und hervorragend gestaltetes Begleitbuch, das auch unabhängig von der Ausstellung funktioniert. Die Texte und Interviews bieten interessante Einsichten und Lesarten, mit denen sich dem Science-Fiction-Genre mehr abgewinnen lässt als nur spektakuläre Unterhaltung.

Das zeigt sich schon eindrucksvoll im zweiten Kapitel „In the Loop: Reordering Human-Technology Relation“, dass die Kurzgeschichte „Dial ‚F‘ for Frankenstein“ von Arthur C. Clarke enthält, der vor allem durch „2001 – Odyssee im Weltraum“ bekannt geworden ist. In der Geschichte aus dem Jahr 1965 entwickelt das Telekommunikationssystem, das auf Welt verteilte Computer verbindet, ein eigenes Bewusstsein, als es mit Kommunikationssatelliten verbunden wird.

Dass der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners Lee, diese Geschichte als junger Wissenschaftler gelesen hat, nutzt der Autor des Kapitels, der Kulturwissenschaftler Colin Milburn zu erhellenden Einsichten. Er zeigt sehr nachvollziehbar, dass gute Science Fiction nicht einfach nur Vorhersagen enthält, die sich bestätigen oder eben nicht, sondern eher eine „konzeptionelle Ressource“, die zur Interpretation und zum Weiterdenken einlädt. Die Idee von Arthur C. Clarke schien schon früh in der Luft gelegen zu haben, denn auch der für „Fahreneinheit 451“ und die „Mars-Chroniken“ bekannte amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury entwickelte 1963 in seiner Geschichte „Dial Zero Zero“ die Idee eines erwachenden Telefonsystems, allerdings nur im Rahmen eines Porträts fürs Fernsehen.

Auch wenn eine Fülle von Autor:innen, Büchern, Filmen und Computerspiele zur Sprache kommen, erhebt das Buch nicht den Anspruch, eine erschöpfende Darstellung der Science Fiction zu sein. Das ist bei dem in ausufernden Genre auch nicht mehr möglich. Dabei ist es aber erfreulich, dass die sonst übliche Konzentration auf den angelsächsischen Bereich durch ein Kapitel über Übersetzungen von SF-Werken aus anderen Sprachen ins Englische durchbrochen wird.

Hier fällt auf, das die deutschsprachige Science Fiction kaum den Weg ins Englische gefunden hat. Der einzige genannte Autor ist Andreas Eschbach, dessen früher SF-Roman „Die Haarteppichknüpfer“ (1995) zehn Jahre nach Erscheinen ins Englische übersetzt wurde und 2020 sogar neu aufgelegt wurde. Bücher des über Jahrzehnte produktiven österreichischen SF-Autors Herbert W. Franke (1927 – 2022) wurden nur vereinzelt Anfang der 1970er-Jahre ins Englische übersetzt und finden wohl schon deshalb keine Erwähnung.

Manchmal zeigen sich aber auch Lücken, die vermeidbar gewesen wären. Im Falle des SF-Trickfilms „Planéte sauvage“ (1973), der mit einer doppelseitigen und einer halbseitigen Abbildung gewürdigt wird, erfährt man zwar den Namen des Regisseurs René Laloux, doch Roland Topor, der die fantasievollen zeichnerischen Entwürfe lieferte, oder Stefan Wul, der Autor der Romanvorlage „Oms en série“ (1957), bleiben ohne Not gänzlich unerwähnt. Der stilprägende französische Comic-Künstler Moebius ist nur mit einer Zeichnung vertreten, die unmotiviert platziert ist und so auf reine Dekoration reduziert wird.

Das sind aber nur kleine Mängel, denn die Texte des Buches sind allesamt lesenswert und werden durch Interviews mit vier aktuellen Science-Fiction-Autor:innen (Chen Qiufan, Charlie Jane Anders, Vandana Singh, Tade Thompson) und einem Altmeister der „Hard-SF“ (Kim Stanley Robinson) ergänzt. Damit ergeben sich weitere, persönlich gefärbte Perspektiven auf das Genre.

Das Verzeichnis weiterführender Literatur ist sehr umfangreich, gefolgt von Kurzbiographien der beteiligten Autor:innen, einem übersichtlichen Verzeichnis der Bildquellen und einem ausführlichen Register. Für alle, die Science Fiction lieben und gerne Englisch lesen, kann ich die „Voyage to the Edge of Imagination“ nur empfehlen.

Alexander Pawlak
 

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