18.09.2003

Theoretische Physik

Rebhan

Theoretische Physik
Band 1: Mechanik, Elektrodynamik, Relativitätstheorie, Kosmologie
Von E. Rebhan. Spektrum, Heidelberg 1999. XXV + 1222 S., 330 Abb., geb.,
DM 98,00. ISBN 3-8274-0246-8
Ein Lehrbuch der Theoretischen Physik legt Eckhard Rebhan für die Gebiete Mechanik, Elektrodynamik und relativistische Physik einschließlich Gravitation und Kosmologie vor. Die Darstellung ist durch viele Beispiele, Aufgaben mit Lösungen, grafische Darstellungen und ein ausführliches Sachregister abgerundet.


Dennoch hinterlässt das Buch bei mir, der ich wie Rebhan seit Jahren den behandelten Stofflehre, einen widersprüchlichen Eindruck. Nach Saint-Exupéry kennzeichnet ein Kunstwerk nicht, dass man nichts hinzufügen kann, sondern dass man nichts davon weglassen kann. Das Buch bringt mit mehr als 1200 Seiten 2,2kg auf die Waage. Da ist es kaum vorstellbar, dass man es einsteckt, um nebenbei am Baggersee darin zu schmökern. Zwar gehören die Gebiete Mechanik, Elektrodynamik und relativistische Physik zusammen, aber gehören sie in dieser Ausführlichkeit zwischen nur zwei Buchdeckel?
Rebhans Auswahl, welches Stoffgebiet wichtig ist und wie es darzustellen ist, stimmt mit meinem Geschmack am meisten bei fast integrablen Systemen überein. Das KAM-Theorem und die daraus folgende Erkenntnis, dass chaotische Bahnen bei fast integrablen Systemen dicht liegen, aber mit nur kleinem Maß auftreten, halte ich für den wichtigsten Beitrag des vergangenen Jahrhunderts zur Mechanik.
Nicht so positiv beurteile ich die Darstellung des Noether-Theorems. Die Originalarbeit von 1918 stellt fest, dass zu jeder kontinuierlichen Symmetrie der Wirkung eine Erhaltungsgröße gehört und umgekehrt, zudem gehört zu jeder kontinuierlichen Eichsymmetrie eine Identität der Bewegungsgleichung und umgekehrt. Bei Rebhan findet sich nur die Erste dieser vier Aussagen.
Leider fehlt parametrische Resonanz, die als Eigenwertproblem symplektischer Abbildungen untersucht werden kann; die Mathieusche Differentialgleichung (nicht im Index) wird nur gestreift. Da die gleiche Mathematik, die bei parametrischer Resonanz zwischen stabiler und instabiler Bewegung unterscheidet, erlaubte und verbotene Energiebänder im Festkörper bestimmt, ist parametrische Resonanz nicht nur an und für sich wichtig.
In der Elektrodynamik findet sich eine ausführliche, gute Darstellung der Strahlungsrückwirkung beschleunigter Punktteilchen, wie sie auf Dirac zurückgeht. Mit der erforderlichen Klarheit geht Rebhan auf die Geschwindigkeit von Informationsübermittlung in exponentiell dämpfenden Übertragungsstrecken ein, die die Sensationslust von Journalisten kitzelt. Ich würde mir auch eine kurze Einführung in Differentialformen und das Poincaré-Lemma wünschen.
Mit Rebhans Darstellung der relativistischen Physik habe ich meine Schwierigkeiten. Das fängt an mit dem Begriff Masse, der synonym zu Energie verwendet wird und daher von Ruhemasse unterschieden werden muss. Muss man wirklich, frei nach Planck, auf das Aussterben nicht des antiquierten Wortgebrauchs, sondern der Personen, die die Worte so gebrauchen, warten?
Die Diskussion der Bilder, die schnell bewegte Beobachter sehen, ist gründlich falsch, nicht anders als etwa in neueren Ausgaben von Gerthsens Physik, in der die Mär verbreitet wird, schnelle Bewegung wirke auf betrachtete Objekte ähnlich wie Drehung und erlaube, verdeckte Rückseiten zu sehen.
Bei der Allgemeinen Relativitätstheorie wird Torsion, die in supersymmetrischen Theorien zentrale Bedeutung hat, nicht einmal als denkbare Struktur erwähnt, denn als Zugang zu gekrümmten Räumen werden krummlinige Koordinaten flacher Räume untersucht. Ich hätte statt der Torsion die Finsler-Räume unter den Tisch fallen lassen. Als Hannoveraner fehlt mir natürlich die Erwähnung von Geo 600 beim Gravitationswellennachweis und auf Ligo und Virgo statt der in die Jahre gekommenen Hinweise auf die erfolglosen Messungen von Weber.
Eigenzeiten in frei fallenden Satelliten sind nicht ohne Tücken, wenn die Geodäten fokale Punkte durchlaufen. Rebhan behauptet nach der richtigen Berechnung der Eigenzeit eines Satelliten, der die Erde im freien Fall umkreist, dass auf Geodäten die kürzeste Eigenzeit verginge. Dabei hat er selbst beim Zwillingsparadoxon richtig geschlossen, dass das Abweichen von der Geodäten jung hält.
Bevor diese kleinen Mängel in einer zweiten Auflage beseitigt werden können, muss die Erste erst einmal verkauft sein. Allerdings kann ich den Kauf nicht uneingeschränkt empfehlen.
Prof. Dr. Norbert Dragon, Inst. f. Theor. Physik, Universität Hannover

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