TV-Kritik: Infiniti
Infiniti, Frankreich, Belgien 2022, 6 Teile, ca. 300 Min., ZDF Neo Mediathek (verfügbar bis 3. Juni 2024)
Stéphane Pannetier und Julien Vanlerenberghe (Buch), Thierry Poiraud (Regie)
In einer alternativen Gegenwart steht der russische Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan vor dem Ende. Ein letzter Start einer Sojus-Rakete soll die Besatzung der Mission „Infiniti“ zur Internationalen Raumstation bringen. Dafür vorgesehen ist die französische Astronautin Anna Zarathi. Medizinische Komplikationen führen zum Abbruch des Starts. Stattdessen fliegt ihr Ersatzmann, der NASA-Astronaut Anthony Kurz, zur ISS. Beide sind sich unerlaubterweise im Sternenstädtchen näher gekommen. Auf der ISS ereignet sich beim Anflug einer Progress-Kapsel ein Unfall, der die Raumstation schwer beschädigt und den Kontakt zur Erde abbrechen lässt.
Niemand weiß, ob es Überlebende gibt, gleichzeitig findet der kasachische Polizist Isaak Turgun eine kopflose Leiche, bei der es sich um den Körper von Kurz zu handeln scheint, der eigentlich auf der ISS sein sollte. Dieser und weitere paradoxe Vorfälle bringen die Handlung ins Rollen, bei der sich nach und nach immer weitere Verwicklungen auftun.
Erfreulich, dass eine französisch-belgische Science-Fiction-Serie als Free-TV-Premiere ins deutsche Fernsehen kommt. Aktuellere Höhepunkte in diesem Bereich waren die schwedische Serie „Real Humans“ (Arte, 2013/14), die französische Produktion „Ad Vitam“ (Arte, 2018) oder in den vergangenen Jahren ambitionierte „Near-Future“-Filme von ARD und ZDF.
Die Macher:innen von „Infiniti“ haben eine alternative Raumfahrtgeschichte, die Lehren des Zarathustra und Schrödingers Katze zu einem sehr eigenwilligen Amalgam verschmolzen. Dass ein Teilchen bei einer Superposition gleichzeitig existiert und nicht existiert, wie es Astronaut Kurz wissbegierigen kasachischen Schulkindern weismachen will, ist für alle Zuschauer:innen mit physikalischer Vorbildung schwer zu schlucken. Das wird zudem auf noch eigenwilligere Weise mit Sonnenausbrüchen verquickt – mehr sei hier nicht verraten.
Die wenig überzeugende physikalische Pointe der Serie ist leider der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, und es fällt schwer, da Nachsicht zu üben. Allenfalls könnte man die Serie als „Weltraum-Mystery“ klassifizieren. Das Beziehungsgeflecht der Hauptfiguren wirkt wie am Reißbrett entworfen und entfaltet sich zäh. Rechte Spannung kommt dabei nicht auf. Die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren glanzlos. Hier drängt sich ein ähnlicher Eindruck wie bei anderen vergleichbaren Produktionen auf, etwa der Serien-Version von Frank Schätzings Der Schwarm oder der im Jahr 2049 angesiedelten vierten Staffel der ARD-Krankenhausserie Charité.
Umberto Eco schrieb einmal: „Wenn die Protagonisten des Films länger brauchen, um sich von A nach B zu begeben, als man es sehen möchte, handelt es sich um einen Pornofilm“. Nach diesem Kriterium wäre „Infiniti“ zumindest leicht pornografisch, denn die Serie nimmt sich viel Zeit für staubaufwühlende Autofahrten durch die kasachische Wüste. Das wird dann doch langweilig.
Punkten kann „Infiniti“ mit einem ungewohnten Lokalkolorit und durchaus atmosphärischen Bildern der exotischen Schauplätze, selbst wenn diese oft alles andere als schön sind. Die Wüstenimpressionen sehen gut aus, aber man darf keine visuell überwältigende und dramaturgisch stimmige Brillanz à la „Lawrence von Arabien“ (1962) erwarten.
Die Weltraumaufnahmen haben für eine Fernsehproduktion hohes Niveau und sind wirkungsvoll inszeniert. Doch beim Weltraumeinsatz von Anna Zarathi fühlt man sich stark an Szenen mit Sandra Bullock in Alfonso Cuaróns Oscar-prämierten Film „Gravity“ erinnert. Das ist sicher kein Nachteil, im Gegensatz zur physikalischen Plausibilität der Schlusspointe. Die ist für die Katz – nicht notwendigerweise die von Schrödinger.
Alexander Pawlak
Weitere Informationen
Weitere Beiträge
- Physik Journal Dossier: Film und Physik
- Alexander Pawlak, Schrödingers Tatort (Physik Journal Nachrichten, 2. Juli 2021)
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