22.11.2004

Was Professor Kuckuck noch nicht wusste

Genz, Fischer

Was Professor Kuckuck noch nicht wusste

Thomas Mann, der sich selbst einmal ironisch als "verkommenen Gymnasiasten" bezeichnete, weil er "mit dumpfer Hartnäckigkeit" jeden über "Lesen und Schreiben, das kleine Einmaleins und etwas Lateinisch" hinausgehenden Wissenserwerb ablehnte, entwickelte später den Ehrgeiz, in seinem dichterischen Werk die verschiedensten wissenschaftlichen Themen literarisch zu verarbeiten. Mit "Bienenfleiß" erarbeitete er sich im Selbststudium für das jeweilige Werk die entsprechenden Kenntnisse, "um literarisch damit zu spielen".

Die in seinen Werken - insbesondere im "Zauberberg" und in den "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull" - verarbeiteten Erkenntnisse aus Physik und Kosmologie, Biologie und Evolution sind Thema des vorliegenden Buches des theoretischen Physikers Henning Genz und des Wissenschaftshistorikers Ernst Peter Fischer. Beide Autoren sind bereits mit erfolgreichen populärwissenschaftlichen Büchern hervorgetreten und vereinbaren hohe fachliche Kompetenz mit ansprechender und verständlicher Darstellung.

Ausgehend von den entsprechenden Textstellen im Werk Thomas Manns - erfreulicherweise meist als Zitat wiedergegeben -, untersuchen die Autoren zunächst die sachliche Richtigkeit zum Zeitpunkt der Niederschrift und aus heutiger Sicht. Thomas Mann zog beim Schreiben häufig Experten der verschiedensten Wissensgebiete zu Rate, nicht jedoch in der Physik und Kosmologie. Hier stützte er sich auf populärwissenschaftliche Literatur, und auf diesen Gebieten - etwa bei seinen Äußerungen über Zeit und Raum - machen sich seine fehlenden mathematischen und physikalischen Grundkenntnisse und sein Hang zu Mystifikationen und Spekulationen bemerkbar. Auch mit den zeitlichen Zusammenhängen ging Thomas Mann großzügig um. So teilt Professor Kuckuck dem fasziniert zuhörenden Felix Krull wissenschaftliche Erkenntnisse mit, die zur Zeit der Romanhandlung noch gar nicht bekannt waren. Für die Autoren gibt es somit häufig Grund zu fachlichem "Geraderücken" der literarischen Vorlage als Ausgangspunkt für Kommentare und vertiefende Darstellungen zu den angesprochenen Themen. Das vielfach eingesetzte ansprechende Bildmaterial trägt in erfreulicher Weise zur Verständlichkeit der Ausführungen bei. Ein weiterer interessanter Ansatz der Autoren ist die Demonstration des von Thomas Mann so genannten "Spielens" mit den erarbeiteten Kenntnissen. In Beispielen wird der direkte Vergleich zwischen den von Thomas Mann benutzten Originaltexten aus Fachbüchern und populärwissenschaftlichen Artikeln und der literarischen Bearbeitung möglich.

So kann das Buch unter verschiedenen Aspekten mit großem Gewinn gelesen werden: Als fesselnde Darstellung interessanter naturwissenschaftlicher Themen, als Einblick in die Arbeitsweise des Autors Thomas Mann und als Anschauung für die Verwandlung eines Sachtextes in Dichtung.

Prof. Dr. Achim Richter, Institut für Kernphysik, TU Darmstadt


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