18.09.2003

Wolfgang Pauli. Wissenschaftlicher Briefwechsel, Band IV/Teil II

Karl von Meÿenn (Hrsg.), Wolfgang Pauli. Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg u.a., Band IV/Teil II: 1953-1954, Springer, Heidelberg 1999. XXXV + 1100 S., 25 Abb., Geb., ISBN 3540643125

Meyenn

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Ein wesentlicher Teil von Paulis Briefwechsel 1953–1954 behandelt, wie in den Jahren zuvor, seine erkenntnistheoretischen Positionen. Ihre Bedeutung unterstreicht der Herausgeber Karl von Meÿenn durch eine 28-seitige, ausführliche Einleitung mit dem Titel „Paulis philosophische Auffassungen“, die er dem gesamten Band voranstellt. So schrieb etwa von Weizsäcker am 22.4.53 an Pauli: „Die Kantsche Frage ... ist also nicht, wie kommt Erfahrung faktisch zustande, sondern was muß wahr sein, damit es Erfahrung geben kann. Wenn ich diese Zweiteilung einmal benutzen darf, so würde ich sagen, er fragt nicht nach den subjektiven Bedingungen, sondern nach den objektiven Bedingungen der Wissenschaft. Es scheint mir, daß man in der Tat so fragen kann. Es bleibt dann das Rätsel, warum beide Fragestel lungen zusammenpassen.“

Paulis Beschäftigung mit wissenschafts historischen und -philosophischen Themen zielt vor allem auf die objektiven Bedingungen. Danach wären die regulativen Prinzipien der Wissenschaft (etwa die cartesianische Unterscheidung von Geist und Materie) zwar intersubjektiv vereinbart, doch es gäbe darüber hinaus subjekt-unabhängige Gründe dafür, daß jeweils gewählte Vereinbarungen mehr oder weniger sinnvoll sind als andere, die auch möglich wären. Die Korrespondenz mit Fierz, von Franz, Jaffé, Jung und Panofsky diskutiert viele offene Fragen aus diesem Umkreis. Wie er in einem Brief an de Broglie (13.7.53) betont, wurde nach Paulis Ansicht „die erkenntnistheoretische Situation, vor welche die moderne Physik gestellt ist, von keinem der philosophischen Systeme vorhergesehen“.

Natürlich korrespondierte Pauli in den Jahren 1953/54 auch hinsichtlich einer ganzen Reihe von physikalischen Themen im engeren Sinn, zum Beispiel Fragen zum H-Theorem (mit Fierz), 5- und 6-dimensionale Feldtheo rien (im Anschluß an einen Vortrag von Pais), Zeitumkehr und CPT-Invarianz (vor allem mit Lüders). Im letztgenannten Zusammenhang ist ergänzend das Buch „Pauli and the Spin-Statistics Theorem“ von Duck und Sudarshan (World Scientific, Singapur 1998) zu erwähnen. Außerordentlich detailliert und lehrreich ist der Briefwechsel mit Källén über dessen Auseinandersetzung mit T.D. Lees renormalisierter Quantenelektrodynamik, der sich von Oktober bis Dezember 1954 erstreckt.

Ein besonderer Aspekt der Pauli-Korrespondenz in den Jahren 1953/54 bezieht sich, angeregt durch Jungs Konzepte, auf Fragen der Entwicklungsbiologie, die Pauli vor allem mit Heisenberg und Weisskopf, aber auch Bohr, Delbrück, Jordan, Klein, Kröner und Pittendrigh diskutiert. Dabei geht es vor allem um das Spannungsfeld von „blind“ zufälligen gegenüber zielgerichteten Mutationen. Pauli formuliert die Hypothese von zufallskorrigierenden, „sinnvollen Zusammenhängen“, die den sichtbaren Lebenserscheinungen ein teilweise zweckhaftes Aussehen verleihen. Er deutet damit die spekulative Idee eines „dritten Typus von Naturgesetzen" jenseits von Kausalität und Zufall an, die deutlich über eine rein darwinistische Auffassung hinausweist.

Mit dem vorliegenden Band IV.2 der Gesamtedition von Paulis Korrespondenz wird Karl von Meÿenn wie bei den voran gegangenen Bänden höchsten Maßstäben gerecht. Auch dieser Band ist für wissenschaftshistorisch oder erkenntnistheoretisch arbeitende Wissenschaftler hochinteressant und anregend – insbesondere für Physiker, die sich mit der geschichtlichen Entwicklung ihrer Wissenschaft und deren selten explizit diskutierten Grundproblemen beschäftigen.

Dr. Harald Atmanspacher,
Institut für Grenzgebiete der Psychologie, Universität Freiburg
 

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