29.05.2017

Abgeschüttelte Elektronen

Neuer Ionisationskanal in molekularem Wasserstoff identifiziert.

Ultrakurze Laserpulse spielen eine Schlüsselrolle für die Kontrolle molekularer Reaktionen, da sie direkt auf die Dynamik der für die chemische Bindung verantwortlichen Elektronen Einfluss nehmen. Die wesentlich schwereren Kerne bewegen sich deutlich langsamer und werden damit nur indirekt beeinflusst. In vielen Fällen ist daher auch die Näherung zulässig, dass sich die räumliche Verteilung der Elektronen­hülle an die sich langsam ändernde molekulare Struktur anpasst.

Abb.: Reaktionspfade zur Ionisation und Dissoziation von molekularem Wasserstoff in einem intensiven Femtosekunden-Laserpuls (Bild: MPIK)

Physiker der Gruppe um Robert Moshammer in der Abteilung von Thomas Pfeifer am Heidelberger MPI für Kernphysik haben nun einen unerwarteten Reaktionsweg identifizieren können, bei welchem obige Näherung nicht mehr gültig ist. Die Forscher haben die einfache Ionisation des Wasserstoff­moleküls H2 in einem starken Laserfeld beobachtet, wobei eines der beiden Elektronen das Molekül verlässt. Das verbleibende Molekülion H2+ kann entweder stabil bleiben oder aber in ein Proton (H+) und ein neutrales Wasserstoff­atom (H) dissoziieren. Die dissoziative Ionisation stellen sich die Wissenschaftler als zwei­stufigen Prozess vor: Zuerst werden mehrere Photonen aus dem Laserfeld absorbiert, um ein Elektron freizusetzen. Das H2+-Molekülion kann dann durch Absorption eines weiteren Photons in einen nicht mehr gebundenen Zustand angeregt werden und bricht auseinander. Hierbei „weiß“ das freie Elektron nichts von dem nachfolgenden Prozess und daher sollte es sich in beiden Fällen gleich verhalten.

Überraschenderweise ist dies aber nicht der Fall, wie die gemessenen Spektren in Abb. 2a zeigen. Im Vergleich finden sich deutlich mehr langsame Elektronen für den Fall, dass das Molekülion gebunden bleibt (blaue Kurve) als wenn es dissoziiert (rote Kurve), während sich für schnelle Elektronen kein Unterschied zeigt. Dies deutet auf einen weiteren Ionisations­mechanismus hin, der langsame Elektronen produziert, ohne dass die chemische Bindung aufbricht. Nun ist bekannt, dass sich die Kerne nach der Ionisation nicht mehr im Gleich­gewicht befinden und dadurch in Schwingungen gegen­einander versetzt werden.

Abb.: Elektronenspektrum für gebundene (blau) und dissoziative (rot) Ionisation von H2 (a). Links-Rechts-Asymmetrie der Elektronen (b). Grün schattiert: Beitrag der Autoionisation (Bild: MPIK)

Dies geschieht auch, wenn das Elektron vom Laserfeld nicht gleich freigesetzt wird, sondern nur einen hoch­angeregten Zustand erreicht, in welchem es in großem Abstand die Kerne umkreist. Jetzt kann Bewegungs­energie der schwingenden Kerne auf das schwach gebundene Elektron übertragen werden und dieses regelrecht „abschütteln“. Dieser Auto­ionisation genannte Prozess braucht aber Zeit – länger als die Dauer eines ultra­kurzen Laser­pulses von zirka 25 Femto­sekunden.

Diese Eigenschaft haben die Physiker nun für folgenden Trick genutzt, um das Modell zu testen: Sie überlagerten den Laser­puls mit einem weiteren der doppelten Frequenz und erreichen damit, dass das elektrische Feld je nach Einstellung vorzugsweise in die eine oder entgegen­gesetzte Richtung weist. Dies wiederum bewirkt eine asymmetrische räumliche Verteilung der freigesetzten Elektronen – ihnen wird bevorzugt die eine bzw. entgegengesetzte Flug­richtung aufgeprägt. Verlässt aber ein Elektron erst nach Abklingen des Laserpulses das Molekül durch Autoionisation, erfährt es diese Asymmetrie nicht.

Das Ergebnis in Abb. 2b zeigt, dass die Asymmetrie im Bereich langsamer Elektronen für dissoziative Ionisation deutlich größer ist, als wenn das Molekül gebunden bleibt. Ein bestimmter Anteil (etwa ein Viertel) der Elektronen kann hier also erst zeitlich nach dem Laserpuls freigesetzt worden sein und stammt folglich aus der Auto­ionisation.

MPIK / DE

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