Abstände per Druck spüren
Sensorsystem Proximity Hat hilft Sehbehinderten und Einsatzkräften bei der Orientierung im Raum.
Ultraschallsensoren, Batterien und Druckstempel stecken in einem neuartigen System, das sich wie ein Hut oder Stirnband auf den Kopf setzen lässt. Es übermittelt seinem Träger durch schwächeren oder stärkeren Druck Information darüber, wie nah sich Wände, Durchgänge oder Gegenstände befinden. Das System mit dem Namen Proximity Hat – Annäherungshut – vermisst die jeweilige Umgebung in Echtzeit und könnte Sehbehinderte ebenso bei der Orientierung im Raum unterstützen wie Feuerwehrleute in einem verrauchten Gebäude.
Abb.: Der Aufbau des Proximity Hat. (Bild: KIT)
Ziel der Entwicklung von Proximity Hat ist ein präzise arbeitendes Hilfsmittel, das dem Nutzer Distanzinformation liefert, ohne ihn zu irritieren, wie dies bei der Kommunikation über Tonsignale oder Vibration der Fall sein kann. Der neue Ansatz, den Florian Braun für seine Bachelor-Arbeit im Fach Informatik am KIT gewählt hat, nutzt die Reizwahrnehmung durch Druck. Proximity Hat erfasst die Umgebung durch integrierte Ultraschallsensoren und übermittelt dem Nutzer per Druck auf den Kopf Information darüber, wie nah oder fern sich Hindernisse befinden. In sechs Modulen befinden sich Ultraschallsensoren, die zusammen den Raum horizontal in alle Richtungen mit einem Messbereich von einigen Zentimetern bis zu mehreren Metern erfassen. Die jeweils etwa fünf Mal fünf Quadratzentimeter großen Module vollziehen bis zu fünfzig Messungen pro Sekunde. Ebenfalls integriert sind mit elastischem Kunststoff umwickelte Stempel. Sie drücken umso stärker auf den Kopf des Trägers, je näher sich ein Hindernis befindet und warnen so vor Kollisionen. Proximity Hat wurde während der mehrmonatigen Entwicklung in Benutzertests erfolgreich erprobt.
Informationsübermittlung per Druck war bislang selten Gegenstand von Untersuchungen. „Die Entwicklung Proximity Hat erweitert die Sinneseindrücke, man kann einen Raum dadurch nicht nur sehen oder hören, wie es in ihm klingt, sondern ihn auch spüren“, sagt Matthias Berning, der die Bachelor-Arbeit betreut hat. Das Feedback durch Druck könnte Sehbehinderte und Blinde unterstützen, ihre Umgebung sicher, schnell und umfassend einzuschätzen. In Helme eingebaut könnte Proximity Hat Feuerwehrleuten helfen, sich in verrauchten Räumen zurechtzufinden und Estrichlegern oder Monteuren solche Arbeiten zu erleichtern, die sie rückwärtsgehend ausführen. Die Information per Druck hat gegenüber anderen Lösungen den Vorteil, keine anderen Sinne zu beeinträchtigen. Bestehende Systeme, die Informationen über Töne oder Vibrationen übermitteln, werden von Nutzern oft als unangenehm, irritierend oder überfordernd empfunden.
„Bislang standen zumeist Sehen und Hören zur Übermittlung digital erfasster Information an den Nutzer im Vordergrund. Die Arbeit an Proximity Hat weist nach, dass sie auch über die sensorische Wahrnehmung von Druck funktioniert“, sagt Michael Beigl, Leiter des Lehrstuhls für Pervasive Computing Systems am KIT. Es sei denkbar, diese Wahrnehmungsfähigkeit auch auf anderen Gebieten zur Erweiterung von Sinneseindrücken zu nutzen, beispielsweise um von Sensoren gemessene Gefahren, etwa eine starke Luftverschmutzung, erkennbar zu machen.
KIT / RK