24.04.2020

Alarm oder Störmeldung?

Intelligentes Sensorsystem kann entscheidende Signale von Rauschen und Störfaktoren unterscheiden.

Alles nur blinder Alarm? Oder muss das Wartungs­team sofort handeln, wenn Sensoren der Industrie­anlage nachts Warnsignale senden? Ein neues Sensorsystem erkennt Störungen anhand der Signalmuster von Sensoren und ordnet diese den Ursachen zu. Das Team von Experimentalphysiker Uwe Hartmann an der Universität des Saarlandes wertet seit Jahren Signalmuster aus: Für ein Sensorkabel, das Zaunanlagen überwachen kann, grenzen sie Störungen von Fehlalarmen ab. Das gesammelte Wissen über Muster­erkennung machen sie mit KI-Methoden und maschinellem Lernen universell einsetzbar und entwickeln eine Software, die bei Störmeldung an Zäunen, aber auch Windkraft- oder Industrieanlagen für Klarheit sorgt. 
 

Abb.: In Versuchsreihen simulierte das Team an Zäunen etliche Arten von...
Abb.: In Versuchsreihen simulierte das Team an Zäunen etliche Arten von Störungen, wie hier mit Bällen. (Bild: O. Dietze)

Eine Vielzahl von Sensoren überwacht heute an Wind­kraft­anlagen alle möglichen Funktionen. Zeigen Mess­ergebnisse größere Schwingungen der Rotorblätter an, ist das Wartungsteam alarmiert. Die Rotorblätter könnten vereist sein und das Rad beim Drehen eine Unwucht haben. Auch könnte das Getriebe beschädigt sein und Vibrationen erzeugen. Es könnte aber auch alles eine harmlose Ursache haben – wie starke Windböen, die an der Gondel zerren. Das Rad würde sich dann unnötig abschalten und die lange Anfahrt des Wartungsteams – bei Offshore-Windparks gar bis aufs Meer – wäre umsonst. 

In solchen Fällen ebenso wie bei Sensoren, die an schwer zugänglichen Industrieanlagen oder Maschinen vor gefährlichen Schwingungen warnen, könnte in Zukunft die Software eines neuen Sensorsystems für Klarheit sorgen: Die Arbeitsgruppe von Uwe Hartmann entwickelt an der Universität des Saarlandes ein Verfahren, das Sensor­daten automatisch die jeweilige Ursache der Störmeldung zuordnet. „Dies erfolgt über Muster­erkennung. Die Signalmuster der Sensordaten unterscheiden sich je nach Art der Störung. Durch unsere bisherigen Forschungen können wir etliche Arten von Erschütterungen, Schwingungs­änderungen und Änderungen des Magnetfeldes einzelnen Ursachen zuordnen und von Fehlalarmen unterscheiden. Diese Erkenntnisse machen wir jetzt mit KI-Methoden übertragbar“, erklärt Uwe Hartmann, Professor für Nano­struktur­forschung und Nano­technologie. 

Seit fast zwanzig Jahren erforschen Hartmann und sein Team Datenmuster von Sensorsignalen, so auch von Erschütterungen an Zäunen: Sie entwickeln unter anderem Sensorsysteme in Kabeln, die Zaunanlagen großflächiger Areale wie Flughäfen oder Lagerhallen überwachen können. Dafür grenzen sie Störungen wie Zerschneiden oder Überklettern der Zäune von Fehlalarmen etwa durch Wind oder Tiere ab. Zum einen verwenden die Forscher Magnet­feld­sensoren: Diese haben sie immer sensibler und selektiver weiterentwickelt. Sie nehmen einige Meter in jede Richtung jede noch so kleine Änderung des Erd­magnet­felds wahr. In normaler Umgebung, ohne Vakuum, tiefe Temperaturen oder Abschirmung und trotz Störquellen spüren sie Magnetfelder auf, die annähernd eine Million Mal kleiner sind als das Erdmagnetfeld. Bislang erfassten solche Sensoren unter normalen Bedingungen nur Magnetfelder, die etwa tausend Mal kleiner als das Erdmagnetfeld sind.

Jetzt hat die Arbeitsgruppe zusätzlich Beschleunigungs­sensoren integriert, um die Empfindlichkeit der Messung noch weiter zu erhöhen. In zahlreichen Versuchs­reihen simulierte das Team an Zäunen etliche Arten von Störungen. Die typischen Signalmuster, die dabei entstehen, ordneten sie den jeweiligen Ursachen zu. „Über Jahre hinweg haben wir unsere Verfahren optimiert, um die entscheidenden Daten sauber herauszulesen und von Störfaktoren und Datenrauschen abzugrenzen“, erklärt Physiker Haibin Gao aus Hartmanns Forscherteam. Anhand der charakteristischen Messwerte und Signal­muster können die Forscher nun genau erkennen, ob die Erschütterungen daher rühren, dass sich ein Mensch am Zaun zu schaffen macht oder ob sich doch nur ein Tier daran reibt, der Wind daran rüttelt oder ein Ball dagegen fliegt. 

Diese Datenmuster – ob Fehlalarm oder Störfall – haben die Forscher mathematisch modelliert, in Algorithmen übersetzt und die Auswerteeinheit immer detail­reicher programmiert und verfeinert. „Wir entwickeln Modelle, um mit maschinellem Lernen Sensor­daten­muster zu identifizieren. Das System erkennt typische Muster, ordnet sie mithilfe intelligenter Algorithmen selbstständig Störungen zu und unterscheidet Rauschen und andere Ursachen“, erläutert der Informatik- und Elektrotechnik-Student Melvin Chelli, der in der Arbeitsgruppe zusammen mit den weiteren Studenten Ishwar Mudraje, Dennis Quint und Bharat Gulab Patil an der Arbeit beteiligt ist. „Da die gesamte Auswertung computer­gestützt erfolgt, kann sie modular für verschiedene Anwendungen angepasst werden. Die jeweiligen spezifischen Erschütterungs­muster kann sich das intelligente Sensoren­geflecht quasi in Echtzeit selbst beibringen“, erläutert Uwe Hartmann. Bewertet dann das System die Lage etwa am Windrad auf See als wirklich ernst, alarmiert es via Bluetooth und Smartphone oder Tablet das Wartungsteam. Und zwar nur dann – und nicht bei blindem Alarm. 

U. Saarland / DE
 

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