Mitte der 1970er Jahre schlugen unabhängig voneinander William Hartmann und Donald Davis, sowie Alastair Cameron und William Ward vor, der Mond sei vor 4,5 Milliarden Jahren aus den Trümmer einer Kollision der Proto-Erde mit einem etwa marsgroßen Protoplaneten – heute zumeist Theia genannt – entstanden. Dieses Szenario hat sich zwar seit Mitte der 1980er Jahre weitgehend durchgesetzt, ist aber nicht ohne Probleme.
Denn um die Größe des Erdtrabanten, seine Umlaufbahn und die Rotationszeiten von Erde und Mond zu erklären, eignet sich – wie zahlreiche numerische Simulationen zeigten – am besten ein eher sanfter Zusammenstoß unter einem flachen Winkel. Dabei würde zwar Theia völlig zerstört, es würde jedoch nur wenig Materie der Proto-Erde in der rotierenden Trümmerscheibe landen, aus der sich schließlich der Mond bildete. Die Analysen der Bodenproben, die von Sonden und Apollo-Astronauten zur Erde gebracht wurden, zeigten jedoch eine weitgehende Übereinstimmung der Isotopen-Verhältnisse in irdischem und lunarem Gestein.
Abb.: Szenario 1 (oben): Nach einem sanften Zusammenstoß bildet sich eine Scheibe (Magma Disk) hauptsächlich aus den Trümmern von Theia, eingehüllt in eine Atmosphäre aus irdischem Gesteinsdampf (Silicate Atmosphere). Szenario 2 (unten): Nach einer energiereichen Kollision verdampft nicht nur Theia, sondern auch der Mantel der Proto-Erde. Ein dichte Wolke aus Gesteinsdampf bildet sich (Mantle-Atmosphere-Disk), in der sich irdische Mantelmaterie und Theia-Trümmer vermischen. (Bild: K. Wang, Harvard U.)
Und das stürzte die Mondforscher in die „Isotopen-Krise“. Denn in verschiedenen Regionen des Sonnensystems entstandene Himmelskörper weisen gemeinhin signifikant unterschiedliche Isotopen-Verhältnisse auf. Die Isotopen-Verhältnisse dienen den Wissenschaftlern geradezu als kosmische Fingerabdrücke, erlauben sie doch die Zuordnung von Meteoriten zu ihren Ursprungs-Asteroiden. Entsprechend sollten sich also auch Proto-Erde und Theia in ihrer Isotopen-Zusammensetzung unterschieden haben – und dieser Unterschied müsste noch heute in der Isotopen-Zusammensetzung des Mondgesteins sichtbar sein.
Mit zwei unterschiedlichen Szenarien versuchen die Mondforscher seither, dieses Problem zu lösen. Im ersten Szenario bildet sich durch die Kollision eine Wolke aus Gesteinsdampf, die sich als dünne Silikat-Atmosphäre um die Trümmerscheibe legt. Der Gesteinsdampf vermischt sich, so die Idee, mit dem Material der Trümmerscheibe und sorgt so für weitgehend der Erde ähnelnde Isotopen-Verhältnisse in dem sich bildenden Erdtrabanten. Allerdings verläuft diese Durchmischung möglicherweise zu langsam – nämlich langsamer als die Entstehung des Mondes.
Das zweite Szenario löst sich von der Idee des sanften Einschlags und geht stattdessen von einer energiereichen Kollision unter steilem Winkel aus – so energiereich, dass der Gesteinsmantel der Erde vollständig verdampft. Zusammen mit der ebenfalls komplett verdampften Materie von Theia bildet dieser Gesteinsdampf eine Wolke um die Proto-Erde, die so dicht ist, dass der Gesteinsdampf in ihr eine überkritische Flüssigkeit bildet. Dadurch ist eine vollständige Durchmischung der beiden Komponenten gewährleistet.
Kun Wang und Stein Jacobsen von der Harvard University in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts sind jetzt auf einen minimalen Unterschied im Verhältnis der Kalium-Isotope 39 und 41 gestoßen, der für das Szenario eines energiereichen Einschlags spricht. Die beiden Forscher haben ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich dieses Verhältnis zehn Mal genauer bestimmen lässt als mit früheren Methoden. Mit ihrem Verfahren haben sie sieben Bodenproben vom Mond, die von unterschiedlichen Missionen stammen, sowie acht repräsentative Gesteinsproben aus dem Erdmantel analysiert. Das Ergebnis: Im Mondgestein ist das schwere Isotop Kalium-41 um 400 ppm angereichert. Eine solche Anreicherung ist durch unvollständige Kondensation aus der Dampfphase möglich, so Wang und Jacobsen – aber nur bei einem Druck von mindestens zehn Bar. Einen solchen Druck gäbe es in der dichten Gesteinsdampf-Wolke nach einem energiereichen Zusammenstoß, aber nicht in der dünnen Gesteinsatmosphäre nach einer sanften Kollision. Bei der Entstehung unseres Mondes hat es also offenbar weit heftiger geknallt, als bislang angenommen.
Rainer Kayser
RK